Ist Reichweite wirklich alles?
Ist Reichweite wirklich alles?

Eigentlich sollte ich mich darüber freuen: Mein Artikel „Zeit für Picknick“ wurde von deutlich mehr Lesern gesehen, als andere Texte in meinem Foodblog. Grund dafür: Im Namen von Geramont habe ich ein Gewinnspiel durchgeführt. Das lief zunächst schleppend an. Doch nachdem ein Gewinnspielportal auf den Text verlinkt hatte, kamen die Kommentare derer, die einen Picknickgrill gewinnen wollten, minutenweise. Um das vorwegzunehmen: Ich habe mich nicht darüber gefreut, dass der Text so oft angeklickt wurde. Und ich werde auch keine Gewinnspiele mehr durchführen.

Gewinnspiele verfälschen die Reichweite-Statistik

Warum? Darum: Da ist also ein Artikel, der vier Mal so oft geklickt wird wie die anderen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die gesamte Reichweite: Die schnellt nach einem Gewinnspiel deutlich nach oben. Und so wird man als Kooperationspartner für Unternehmen attraktiver. Allerdings nur, wenn man diese Reichweite auch die nächsten Monate hoch halten kann. Heißt also: Weitere Gewinnspiele für Unternehmen durchführen? In meinem Fall ganz klar: Nein!

Die rechtliche Seite

Mein Ziel ist nicht in erster Linie, ein attraktiver Kooperationspartner für Firmen zu sein. Ich will meinen Lesern gute Inhalte bieten. Nun war „Zeit für Picknick“ trotz Gewinnspiel ein Text mit Nutzwert. Durchaus also ein guter Inhalt. Aber: Die meisten Besucher haben von dort nicht weiter geklickt. Wahrscheinlich haben sie nicht einmal den Artikel gelesen, sondern sind direkt zu den Kommentaren gegangen. Sie haben dort dann eine Satz geschrieben – und weg waren sie. Langfristig gewinne ich also durch Gewinnspiele keine Leser. Dafür habe ich unnötige Arbeit. Und ich bin an gesetzliche Regeln gebunden:

  • Muss ich die zugehörigen Texte besonders kennzeichnen?
  • Muss es AGBs zu den Gewinnspielen geben?
  • Was sollte man darin schreiben?
  • Darf man die Gewinnspiele einfach so auf einer Business Page bei Facebook durchführen oder anteasern?

Wer ein Gewinnspiel durchführt, kann dies über eine Facebook Fanpage machen oder auch bei Youtube. Dabei sollten eindeutige Teilnahmebedingungen gestellt werden. Diese müssen zudem leicht einsehbar und ständig verfügbar sein. (Christian Solmecke, Rechtsanwalt für Medienrecht)

Was man klären muss

Im Einzelnen muss laut Solmecke angegeben werden:

  • Wann das Gewinnspiel genau endet
  • Wann der Termin für die Verkündung des Gewinners stattfindet
  • Wer überhaupt berechtigt ist am Gewinnspiel teilzunehmen
  • Der Hinweis, dass das Gewinnspiel nicht vom Erwerb von Waren oder Ähnliches abhängig gemacht wird
  • Nach welchen Regeln oder nach welchem Verfahren der Gewinner ermittelt wird
  • Auf welche Art und Weise der Gewinn später erlangt werden kann
  • Hinweise zum Datenschutz

Datenschutz beim Gewinnspiel

Die persönlichen Daten der Teilnehmer muss man selbstverständlich ausreichend schützen. Es muss sichergestellt werden, dass diese ausschließlich zum Zwecke des Gewinnspiels genutzt werden und nicht zu Marketingzwecken. Alles andere bedarf einer ausdrücklichen Einwilligung des Teilnehmers. Es dürfen auch ohne Einwilligung nicht mehr Daten erhoben werden, als für das Spiel zwingend notwendig ist. Außerdem sollte ein Hinweis erfolgen, dass der Rechtsweg ausgeschlossen ist.

Besonderheit bei Facebook: Die Gewinner dürfen weiterhin nicht über private Facebook-Nachrichten benachrichtigt werden, sagt Christian Solmecke. Ebenso wenig ist das Posten des Gewinnernamens erlaubt. Lediglich die Kürzel des Gewinners dürfen veröffentlicht werden. Das macht die Durchführung der Gewinnspiele über Likes schwierig, denn der Gewinner wird über den Pinnwandeintrag nicht automatisch informiert.

Gewinnspiele machen nur Arbeit

Hinzu kommt: Meine Stammleser haben sich gar nicht am Gewinnspiel beteiligt. Sie sind nämlich mehr oder weniger gut situiert, der Grill steht längst auf Terrasse oder Balkon. Mit einem No-Name-Grill bringt man sie nicht dazu, sich an einem Gewinnspiel zu beteiligen. Das sähe vielleicht mit einer Reise nach New York anders aus. Dann allerdings hätte man wieder das Problem, dass ein Gewinnspielportal verlinkt. Dadurch würde die Teilnehmerzahl und die damit verbundene Arbeit wahrscheinlich noch höher beziehungsweise größer. Das müsste also schon bezahlt werden, gut bezahlt werden – und selbst dann würde ich es nicht wollen, weil mir das nur hohe Klickzahlen, aber keine Leser brächte. Darum: keine Gewinnspiele mehr auf keinem meiner Blogs!

Was noch die Reichweite verfälscht

Es gibt noch mehr Stolperfallen beim Thema Reichweite: Im Zuge des NSA-Skandals sind viele Internetnutzer sensibler im Umgang mit ihren Daten geworden. Folge: Beispielsweise klicken sie „Like“ nicht mehr so häufig wie früher, und „teilen“ ist eine Aktivität, die sowieso noch seltener stattfindet. Die Interaktion ist außerdem abhängig vom Alter: Junge Menschen teilen eher als nicht mehr ganz junge.

Bringt man dies nun in Zusammenhang mit der eigenen Zielgruppe, die in meinem Fall nicht mehr ganz jung ist, ergibt sich daraus die logische Schlussfolgerung, dass mit meinen Inhalten weniger Interaktion stattfindet, als wenn ich jüngere Leser hätte. Das heißt jedoch nicht zwingend, dass die Inhalte nicht gelesen werden. Und: Drei verschiedene Analyse-Tools bringen außerdem eine unterschiedliche Zahl an Nutzern im Monat. Welche Zahl ist die richtige?

Reichweite durch gegenseitige Verstärkung führt nicht zu mehr Lesern

Und noch ein Punkt: Immer wieder bekomme ich bestätigt, dass sich sowohl die Reise-Blogger als auch die Food-Blogger sehr um sich selbst drehen. Heißt: Reise-Blogger haben viele Leser aus der Reisebranche. Die will ein Kooperationspartner aber möglicherweise gar nicht erreichen, sondern eher einen Endverbraucher. Im Umkehrschluss heißt das, dass Kooperationspartner, die nur auf Quantität bedacht sind, eventuell aufs falsche Pferd setzen: Ihre Produkte gehen möglicherweise an der Zielgruppe vorbei.

Beispiel: Was will ein teures Hotel damit erreichen, wenn es auf einem Blog erwähnt wird, dessen Zielgruppe zu jung ist, um sich den Aufenthalt leisten zu wollen oder zu können? Ist der eine Backlink wirklich sinnvoll? Oder geht man davon aus, dass sich die jungen Leute noch an dieses eine Hotel erinnern werden, wenn sie irgendwann ausreichend Geld haben, um dort zu übernachten?

Bin ich ein Schmarotzer oder was?

Überhaupt finde ich das Verhalten von PR-Agenturen nicht nur als Journalistin sondern auch als Bloggerin manchmal merkwürdig: Eine PR-Agentur schickte mir ihre Kundenliste, nachdem sie einige Inhalte gesehen hatte, die ich mache. Sie fragte, ob ich vielleicht einen Aufhänger finde, um einen ihrer Kunden im Blog vorzustellen. Ich habe ein Hotel in Portugal gefunden, das einen außergewöhnlichen Weinkeller hat. Den wollte ich im Rahmen eines Portugal-Urlaubs besichtigen. Doch ich bekam die Antwort, dass das Hotel bereits ausgebucht sei und man überhaupt eher an Medien mit großer Reichweite interessiert sei. Dieser PR-Agentur werde ich selbstverständlich nie mehr Themenaufhänger schicken. Denn

  1. ich wollte nicht im Hotel übernachten, ich hatte bereits ein Hotel in Lissabon gebucht. Ich wollte einfach nur den Weinkeller besichtigen. Ganz abgesehen davon, dass ich mir die Unterkunft im Hotel leisten könnte, wollte ich dort sowieso keine Zeit zubringen: All Inclusive ist nicht mein Ding, auch nicht, wenn es gehobene Klasse ist. Die Fehlannahme der PR-Agentur, dass ich eine Übernachtung schnorren wollte, empfinde ich als ziemliche Unverschämtheit. Zum Glück habe ich das nicht nötig.
  2. ist es immer gefährlich, als PR-Agentur einen bloggenden Journalisten abzulehnen. Wer weiß, welche Themen er vor Ort findet, die für einen größeren Kunden interessant sein könnten? So ist es mir auf der ITB dieses Jahr gegangen: Dort hatte ich ein Informationsgespräch mit einem Vermittler von Ferienwohnungen. Der Gesprächspartner wollte mich als Blogger kennenlernen. Das Konzept war aber so spannend, dass ich daraus als Journalistin ein Thema gemacht habe, das ein Kunde gerne genommen hat. Natürlich war der ITB-Gesprächspartner nicht der einzige Anbieter, der im Text zu Wort kam. Aber statt einiger tausend potenzieller Leser hatte der Mann plötzlich 900.000.

Ein Gesprächspartner, der mich abweist, weil mein Blog oder vielleicht auch ein einzelner Kunde zu klein ist, werde ich nicht mehr anfragen, wenn ich für ein größeres Medium schreibe. Es gibt genügend Gesprächspartner, man ist selten auf einen angewiesen. Übrigens habe ich noch nie eine Absage bekommen, wenn ich für dieses Blog hier recherchiert habe.

Was ich aus diesen Erfahrungen mitnehme

  1. keine Gewinnspiele mehr, nie mehr.
  2. Ich bewerbe mich nicht auf irgendwelche Bloggeraktionen, bei denen man im Vorfeld Artikel oder Videos einsenden soll. Das habe ich nicht nötig. Wenn jemand mit mir kooperieren will, soll er mich kontaktieren. Wenn ich mit jemandem kooperieren will, komme ich auf ihn zu.
  3. Kooperationspartner die nur auf Reichweite achten, ohne die Zahlen zu hinterfragen, sind für mich keine Kooperationspartner. Weder jetzt, noch künftig.
Warum Reichweite im Internet längst nicht alles ist
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Ein Kommentar zu „Warum Reichweite im Internet längst nicht alles ist

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