Sprache verändert sich. Das war schon immer so. Auch über die vielen englischen Begriffe, die sich im Deutschen breit machen, kann man den Kopf schütteln – oder es hinnehmen. Ich komme aus dem Süden Deutschlands, da gibt es auch das Trottoir, das Plumeau und andere Wörter aus dem benachbarten Frankreich. Dafür findet man den Kindergarten in vielen Ländern. Ist halt so.
In „Business Bullshit“, einem Buch, das mir der Duden Verlag (Werbe-Link) kostenlos zur Rezension geschickt hat, geht es um viele englische Wörter. Allerdings nicht, weil sie aus dem Englischen kommen, sondern weil Autor Jens Bergmann sie für leere Begriffe ohne Sinn hält, mit denen sich besonders gerne die schmücken, die nichts zu sagen haben. „Inkompetenzkompensationskompetenz“, nennt er ihren Einsatz – mit Bezug zum Philosophen Odo Marquard, der den Begriff geprägt hat. Wunderbares Wort.
Business Bullshit – oder nicht?
Das Buch hat einen relativ kurzen Vorspann, indem Bergmann erklärt, welche Folgen Business Bullshit für Unternehmen und die Gesellschaft hat. Er zeigt auch, wie Journalist*innen dazu beitragen, diese leeren Worthülsen salonfähig zu machen. Ich stelle fest, dass ich auch einige davon oft unbedacht einsetze. Andere empfinde ich genauso inhaltsleer wie Bergmann – ich nutze sie aber trotzdem, weil ich das Gefühl habe, dass das von mir erwartet wird. Ein Trauerspiel, wenn man ehrlich ist. Bei all der Zustimmung bin ich trotzdem nicht immer seiner Meinung. Content Marketing ist für mich zum Reizwort avanciert – aus anderen Gründen wie für Bergmann. Und ich finde es nicht gut, es platt mit Werbung gleichzusetzen. Darüber habe ich in einem anderen Artikel ausführlich geschrieben.
Auch dass das Wort Mehrwert im Buch vorkommt, finde ich schade. Im Verbraucherjournalismus benutzen wir es seit meinem Berufseinstieg vor 24 Jahren – und wahrscheinlich haben auch ältere Kolleg*innen es schon benutzt. Es jetzt dem Business Bullshit zuzufügen, empfinde ich fast als Beleidigung. Allerdings stimmt, dass es derzeit inflationär genutzt wird. So wie beispielsweise derzeit „DNA“ von vielen Firmen zur Charakterisierung ihres Könnens genutzt wird.
Heute noch Trend, morgen vergessen
Dann geht es um die typischen Business Bullshit Begriffe – die übrigens kommen und gehen, ähnlich wie Modetrends. Erinnert Ihr Euch noch an Six Sigma? Heute kein Thema mehr, sagt Jens Bergmann. Firmen und Mitarbeiter müssen heute Agilität beweisen. Was Bergmann zu diesem Thema schreibt, erheitert mich: Habe ich doch noch neulich mit einer Freundin darüber gesprochen, dass es keine hierarchiefreien Unternehmen und Gesellschaften gibt. Einer entscheidet am Ende. Das ist entweder der oder die Inhaber*in oder der oder die mit der größten Klappe, weil er oder sie sich am besten durchsetzen kann. Letzteres ist dramatisch.
Die Begriffe sind geordnet in Kategorien wie Psychotalk, Imponiervokabular und Beschwörungsformeln. Unter Imponiervokabular steht beispielsweise Big Data. Ich amüsiere mich darüber, wie Bergmann den Begriff entzaubert: Ein Zuviel an Daten sei eben nicht so einfach zu analysieren, wie man sich das wünscht. Das erinnert mich daran, dass mir Apple Music immer wieder österreichische Liedermacher*innen empfiehlt, obwohl ich schon X Mal gesagt habe, dass ich sie nicht mag. Anders bei Disruption – ja, auch ich habe dieses Wort erst vor wenigen Jahren neu gelernt. Und ja, man begegnet ihm sehr oft. Ich finde aber, dass die Coronapandemie sehr deutlich zeigt, dass derjenige draußen ist, der sich nicht schnell genug an neue Gegebenheiten anpasst. Beispiel: Cocktail-Bars, die keine To-go-Cocktails und Verkostungskisten anbieten, verdienen eben gerade überhaupt nichts. Oder: Ausgerechnet die Sternegastronomie, die niemals über Take away nachdenken musste, hat sehr schnell umgeschaltet – und viele dieser Restaurants verdienen jetzt nicht schlecht, während andere geschlossen werden müssen. Erst dieser Tage habe ich eine Nachricht vom Berliner Sternerestaurant Einsunternull bekommen: Das Team hat aus seinen Verkäufen mit der Aktion Mach mahl! trotz Corona-Pandemie 10.000 Euro an eine Einrichtung der Obdachlosenhilfe gespendet.
Was mir nicht so gut gefällt
Alles in allem mag ich das Buch und versuche jetzt, Business-Bullshit-Worte aus meinem Wortschatz zu verbannen. Aber: Das Buch ist ähnlich einem Lexikon aufgebaut. Es gibt also zu jedem Business-Bullshit-Wort einen Eintrag. Die Länge variiert von kurzem Eintrag bis zu dem einer sehr kurzen Kurzgeschichte. Und genau diese Längen machen mir das Problem. Als Kolumne in einer Zeitung/Zeitschrift – sofort! Unterhaltsam, kritisch, witzig, wahr. Als Buch geht ganz viel der textlichen Brillanz verloren, finde ich. Denn man muss sich zu oft neu einlesen und kann so die einzelnen Passagen gar nicht mehr richtig genießen. Zumindest dann nicht, wenn man versucht, das Buch eben wie ein Buch von vorne nach hinten zu lesen. Will man stattdessen ab und zu etwas nachschlagen, oder liest man einfach nur einen Beitrag pro Tag, dann macht es sicherlich sehr viel Spaß.
Mein Fazit: Business Bullshit ist bitterböse geschrieben, voll mit schwarzem Humor und ausgesprochen lesens- und bedenkenswert.