Timo Stoppacher hat gestern seinen letzten Workshop im Projekt Digitalien gegeben. Es ging dabei um die Journalistische Nische. Nach seinem Vortrag gab es eine kurze Diskussion, ob das Gesagte sich in der Praxis tatsächlich anwenden lässt oder nicht. Ich glaube schon – und habe darum einen Selbstversuch gemacht.
Themenfindung: Flexibel bleiben
Timo Stoppacher geht davon aus, dass sich journalistische Themen ständig ändern. Das heißt: Wer heute seine Nische gefunden hat, in der er gutes Geld verdienen kann, steht morgen vielleicht ohne Kunden da, weil sich die Welt weiterdreht. Das kann ich bestätigen: Als ich vor zwölf Jahren in die Selbstständigkeit ging, habe ich sehr viel über Immobilien geschrieben: Finanzierung, Tipps zum Kauf und Bau, Vermieten und Verkaufen. Seit etwa eineinhalb Jahren kauft niemand mehr Immobilienthemen. Meiner Meinung nach hängt das einerseits damit zusammen, dass die Baufinanzierungszinsen seit Jahren auf dem niedrigsten Stand sind, und wir uns schon selbst bescheuert vorkommen, wenn wir das immer wieder schreiben. Andererseits gibt es zumindest in den Ballungsgebieten kaum noch bezahlbare Wohnungen und Häuser, so dass man nicht mehr raten kann: Kauft jetzt!
Themen im Wandel der Zeit
Statt über Immobilien schreibe ich jetzt immer mehr und mehr zum Thema Internet: Die besten Apps für Handwerker, … für den Urlaub, … um zu Fotografieren, Raus aus den sozialen Medien – aber wie? – und so weiter und so fort. Ich finde den Wechsel ganz gut, auch wenn ich nach wie vor gerne über Immobilien schreibe. Allerdings zeigt mir dieser Wechsel auch, dass nichts für die Ewigkeit ist. Und ich bin sicher, dass ich auch nicht bis zur Rente über das Internet und Apps schreiben werden. Denn bis dahin wird es noch einige gesellschaftliche Entwicklungen geben.
Megatrends zur Themenfindung
Timo Stoppacher meint, man könne ansatzweise diese Entwicklungen erahnen, wenn man sich mit den so genannten Megatrends auseinandersetzt, diese auf sein Spezialgebiet herunterbricht – und an der Entwicklung dranbleibt. Mir scheint das einleuchtend, eine Kollegin, die über Politik & Gesellschaft sowie Stadtentwicklung schreibt, sagt, es würde in ihrem Fall nicht gehen. Ich rate allen dazu, es einfach einmal auszuprobieren, bevor man diese Option für sich ausschließt, und zwar so:
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- Ich nehme mir einen Megatrend vor, und zwar Globalisierung. Der Begriff ist sehr theoretisch, und auf den ersten Blick fällt mir überhaupt nichts dazu ein, was ich für meinen Schwerpunkt Verbraucherjournalismus herausziehen könnte.
- Ich nehme ein Blatt Papier – ja, man kann das auch am Bildschirm machen, aber ich nehme trotzdem ein Blatt Papier. Ich mache eine Mindmap: In die Mitte schreibe ich „Globalisierung“, außen alle Begriffe, die mir dazu einfallen.
- Im nächsten Schritt forme ich aus den Begriffen meine Themen:
- Wie erfahre ich, welche Inhaltsstoffe in Produkten sind?
- Was sagt eigentlich die Herkunftsangabe genau aus?
- Wie bekomme ich schon im Studium Auslandserfahrung?
- Was, wenn ich im Ausland arbeiten möchte? Welche Möglichkeiten habe ich? Was ist dann mit der Rente in Deutschland? Wie funktioniert das mit den Steuern? Und wie sichere ich mich richtig ab? Was mache ich mit meiner Wohnung, während ich weg bin? Was mit dem Auto?
- Wie und wo kauft man am besten regionale Lebensmittel?
- Die Logistik belastet die Umwelt – was kann ich als Endverbraucher ändern, um die Welt diesbezüglich ein bisschen besser zu machen?
- Welche Sprachen muss ich heute sprechen, welche in der Zukunft – und wo lerne ich sie im Erwachsenenalter am besten?
- Was sind die Trend-Urlaubsziele dieses Jahres?
- Welche Krankheiten bringen Fernreisende besonders oft mit – und erkennen deutsche Ärzte sie?
- Was ist dran an den Horrorgeschichten über Bettwanzen? Wie erkenne ich, ob ich welche eingeschleppt habe? Und was mache ich dagegen?
Mindestens elf Themenvorschläge also aus einem Megatrend. Keine schlechte Ausbeute für etwa zehn Minuten Arbeit. Aus vielen lassen sich wahrscheinlich noch weitere Themen ableiten. Und wenn man am Thema dran bleibt, sich quasi mit ihm verändert, wird es vermutlich eine ganze Zeit tragen.
Sollte hier jemand mitlesen, der mich zu einem der Themen beauftragen möchte: Nur zu! Ich freue mich auf Anrufe. Und, liebe Kollegen, habt keine Skrupel, die Themen selbst umzusetzen und weiter zu drehen. Ich freue mich dann aber über einen kleinen Hinweis, was ihr daraus gemacht habt.
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Robert B. Fishmann (http://about.me/RobertB_Fishman) schreibt mir:
„Danke für die Tipps, gute Idee. Für mich liegt bei der Neu-Akquise (fast alle meiner ehemaligen Stammkunden gibt es nicht mehr) eher wo anders: Die meisten Redaktionen bekommen so viele Themenangebote und haben so wenig Leute, dass sie die Vorschläge gar nicht mehr lesen. Auf Nachfrage kommen meist Antworten, die das belegen oder direkt die Mitteilung, man habe mehr als genug Vorschläge von Stammautor/inn/en und wolle keine weiteren Themenvorschläge. Dritte Variante: Angebote gerne, aber wir zahlen (fast) nichts.“
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