Beim Sonntagsfrühstück überraschte mich mein Mann mit der Aussage, er habe eine Stelle gesehen, die wunderbar zu mir passen würde. Zuerst bin ich entsetzt, ein bisschen beleidigt – schließlich funktioniert meine Selbstständigkeit mit Wirtschaft verstehen seit elf Jahren sehr gut. Dann schaue ich mir die Anzeige an – und ich muss ihm Recht geben. Die Stelle hat was. Was dann in meinem Kopf passiert ist interessant.
Besser fest – oder frei?
Ich mache mir eine Liste, wäge Pro & Kontra ab: Für die Selbstständigkeit spricht,
- dass sie läuft,
- dass ich tolle Kunden habe,
- oft Themen umsetzen kann, die ich selbst vorschlage und dementsprechend spannend finde.
- Nicht bezahlbar ist die Freiheit: Ich möchte Urlaub haben? Dann nehme ich ihn mir. Ich muss zum Arzt oder auf eine Behörde? Kein Problem – ich gehe einfach. Ich will eine Fortbildung besuchen? Mache ich, ohne auf Budgets achten und eine Erlaubnis einholen zu müssen.
Für die Festanstellung spricht allerdings auch einiges:
- Ich weiß, welchen Stand mein Konto am Ende des Monats haben wird. Und auch am nächsten und übernächsten.
- Ich bin krank? Dann bin ich krank – und versuche nicht, trotzdem meine Arbeit zu machen.
- Ich verlasse das Büro – und habe Feierabend. Bleibe ich länger, werden Überstunden aufgeschrieben.
- Ich könnte einige Versicherungen sparen.
- Ich hätte Kollegen um mich herum.
Fest – nee, lieber frei!
Meine innere Waage ist bei diesen Argumenten in der Balance. Keine Waagschale ist schwerer als die andere. Hinzu kommt: Eine funktionierende Selbstständigkeit aufzugeben, um eine Festanstellung anzutreten, von der ich nicht weiß, ob sie Spaß macht? Von der ich nicht weiß, ob ich nette Kollegen hätte? Was, wenn es mir dort nicht gefällt? Wenn ich während der Probezeit die Reißleine ziehe und kündige? Die Verträge mit meinen Kunden wären dann schon gekündigt, ich müsste wieder bei Null anfangen. An diesem Punkt denke ich, ich muss verrückt sein, über eine Festanstellung nachzudenken.
Dann schmeißt mir meine innere Pro-Festanstellung-Fraktion ein Killerargument entgegen: Eine Festanstellung wäre mal etwas Neues. Ja. Etwas Neues. Ich komme ins Wanken. Zwar ist eine Selbstständigkeit deutlich abwechslungsreicher als eine Festanstellung, aber nach elf Jahren hat man irgendwie alles schon einmal gemacht. Ja, 2013 brachen mir fünf Kunden beziehungsweise Projekte durch die Medienkrise weg – das war aufregend. Aber selbst das hat sich längst wieder eingerenkt: Es geht weiter wie bisher. Und: Es gibt keine Beförderung, keine Gehaltserhöhung, es ist kein neues Projekt in Sicht. Manchmal frage ich mich, ob das die nächsten 23 Jahre so bleiben soll. Dann überkommt mich eine leichte Resignation und ich denke: Etwas Neues wäre mal nicht schlecht. „Aber muss es darum gleich eine Festanstellung sein?“, schreit jetzt die Pro-Selbstständigkeit-Fraktion in mir auf.
Du sprichst mir aus der Seele. Aber das weißt Du ja.