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Leserbrief
Leserbrief

Es ist ein ziemlich dickes Kuvert aus dunkelbrauner Pappe, das da in meinem Briefkasten gelandet ist. Den Absender kenne ich nicht, die Schrift ist ungelenk. Neugierig öffne ich das Kuvert und bin recht erstaunt, eine zerlesene Brand Eins aus dem Frühjahr herauszuholen. Die Seiten müssen oft umgeblättert worden sein, denn am Falz hat sich unter der Hochglanzbeschichtung eine weiße Narbe gebildet. Ich kenne die Ausgabe gut. Mein Artikel über das Hausmädchen Stella in Tansania ist in ihr erschienen.

Ein Geschenk

Bei Seite 8, der Mikroökonomie, also bei meinem Text, ist ein kurzer, handschriftlicher Leserbrief eingelegt. Ein Mann bittet mich, das Heft zu signieren und ihm zurückzuschicken. Im Gegenzug hat er mir zwei Ausgaben des Magazins Biss beigelegt. Bevor ich mir dieses Heft näher ansehe, antworte ich dem Herrn auf einer großen quadratischen Postkarte, auf der Vorderseite sind Instagram-Bilder von Köln abgedruckt. Ich bitte ihn um Verständnis dafür, dass ich sein Heft nicht signiere. Ich begründe das damit, dass ich eine völlig unbedeutende Person bin, und dass es nur um die Inhalte meiner Texte geht, nicht um mich. Die Karte stecke ich in den zugehörigen Umschlag, befestige sie mit einer Büroklammer am abgewetzten oberen Rand der Brand Eins. Ich benutze das stabile Pappkuvert ein zweites Mal, klebe es mit Paketband zu und lege es auf den Haufen für die ausgehende Post.

Leserbrief von einem Kollegen

Dann nehme ich das Biss-Magazin in die Hand: „Bürger in sozialen Schwierigkeiten“ steht in Rot klein am oberen Rand. BISS. Ich suche in den Heften nach dem Namen des Herrn, finde ihn in der Rubrik Schreibwerkstatt. „In der Schreibwerkstatt bringen unsere Verkäufer ihre Geschichten zu Papier“, heißt es dort. Der Mann, der mir geschrieben hat, verkauft also BISS, ist vielleicht auch ein Bürger in sozialen Schwierigkeiten. Ich suche im Internet seinen Namen, tatsächlich finde ich schnell heraus, wo er morgens, wo er nachmittags steht und die BISS an Leser verkauft – unter anderem in der Nähe des Stachus in München. Und ich finde noch mehr: In einem Artikel im Internet schreibt er über eReader. Zuhause habe er einen Schrank voller Bücher, und alle seien signiert. Er sei 66, schreibt er, und wenn es gut laufe, lebe er noch 20 Jahre. Im schlechten Fall werde er deutlich älter. Zwar soll der eReader die Zukunft sein, schreibt er – doch er will in der Zeit, die er noch auf diesem Planeten hat, auf ihn verzichten. Seine signierten Bücher sind ihm wichtiger.

Ich will Brand Eins trotzdem nicht signieren. Aber ich hoffe, er freut sich über meine Postkarte. Und ich fasse einen Vorsatz: Wenn ich das nächste Mal in München bin und einen BISS-Verkäufer sehe, werde ich auf jeden Fall eine Ausgabe kaufen.

Leserbrief mit der Bitte um Artikelsignatur
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