Auf Jobsuche - trotz Fachkräftemangel nicht einfach
Auf Jobsuche – trotz Fachkräftemangel nicht einfach

„Fachkräftemangel: Unternehmen müssen kreativ werden“ ist nur eine von vielen Überschriften, die man derzeit in großen deutschen Medien liest. Mich amüsieren diese Überschriften und die zugehörigen Artikel. Denn durch meine Bewerbungstrainingsseminare und meine Vorträge zum Thema Recruiting in Zeiten von Fachkräftemangel und social media weiß ich, dass die Realität oft anders aussieht. Nicht nur, dass nur wenige Unternehmen wirklich kreativ im Umgang mit Bewerbern und Mitarbeitern sind. Viel schlimmer ist, dass viele Firmen beziehungsweise deren Personalabteilungen den Bewerbungsprozess so gestalten, dass man daran zweifeln muss, ob sie wirklich auf der Suche nach Mitarbeitern sind.

Ich habe mich darum mit Christof Wirtz über das Thema unterhalten. Er ist Niederlassungsleiter der A!B!C Personalberatungs-GmbH in Rösrath und berät Unternehmen und Kandidaten bei der Suche nach neuen Mitarbeitern und Stellen. In seinem Blog Bewerber A!B!C werden wöchentlich Bewerbungstipps veröffentlicht und Fragen von Bewerbern beantwortet.

Christof Wirtz
Christof Wirtz

Fachkräftemangel – nach dem, was ich aus der Praxis so höre, halte ich den Begriff fast schon für einen schlechten Scherz. Gibt es ihn wirklich?


Das kann ich nur für die Branchen Maschinenbau, Elektrotechnik, Steuerungstechnik und IT sagen: In industriell starken Ballungsräumen gibt es durchaus einen hohen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. In anderen Branchen wie zum Beispiel der Pflege vermute ich, dass es den Mangel auch gibt. Allerdings ist das nicht mein Metier.

Sowohl der Spezialist in der strukturschwachen Region als auch das kleine Unternehmen am Rande des Ballungsgebiets tun sich schwer damit, das richtige Gegenüber zu finden. Schnell spricht man dann vom nationalen Fachkräftemangel. Dabei sind genügend Fachkräfte da, nur sprechen die nicht alle druckreifes Deutsch, haben oft nicht genügend Berufserfahrung oder sind regional gebunden.

Zu oft sollen die Bewerber eierlegende Wollmilchsäue sein und zusätzlich karierte Maiglöckchen mitbringen. Für mich ist ein Bewerber, der will, geeigneter als einer, der nur kann. Natürlich ist die „Wollen + Können Option“ die beste. Aber der Kandidatenmarkt ist im Moment keine Pralinenschachtel zum Low-Cost Preis.

Und trotzdem höre ich merkwürdige Geschichten aus Bewerbungsgesprächen. Warum beispielsweise fragen Personaler gestandene Arbeitskräfte nach ihren Eltern oder danach, was der Ehepartner macht?


Das möchte ich auch gerne wissen. Ich befürchte, dass hier ein Azubi oder ein HR-Referent mit wenig Erfahrung Fragen vom Blatt abliest. Natürlich können Sie anhand der Beziehung der Bewerber zu ihren Eltern Rückschlüsse auf frühkindliche Prägungen ziehen. Aber wer ist denn dafür wirklich geschult und in der Lage, das ernsthaft und professionell zu analysieren? Aus meiner Sicht begeben sich einige Personalabteilungen und Berater in der Persönlichkeitsbeurteilung zu weit aufs Eis hinaus.

Eine solche Frage kann allerdings berechtigt sein, wenn es um die Umzugsbereitschaft geht. Ein Partner, der 200 Kilometer entfernt lebt, ist für eine Beziehung nicht immer von Vorteil. Auch pflegebedürftige Eltern können die Umzugsbereitschaft senken. Aus beiden Situationen können Spannungen entstehen, die sich eines Tages auch auf den Arbeitsalltag auswirken.

Ist der potenzielle Arbeitgeber allerdings in der Nähe, darf man auf die Frage „Was macht eigentlich ihre Frau/ihr Mann?“ durchaus spröde antworten: „Er/Sie freut sich, wenn wir uns abends nach einem anstrengenden Arbeitstag wiedersehen. Ansonsten gehen wir gelegentlich zusammen aus oder ins Kino.“ Sollte es danach zu einer Rückfrage kommen, kann gefragt werden, wer eingestellt werden soll. „Wollen Sie meine Frau oder mich einstellen?“ Da die Frage aus meiner Sicht nicht zu einem Bewerbungsgespräch passt können Sie auch sagen:

„Wieso ‚eigentlich‘? Wollen Sie wissen, was sie im Prinzip macht, in Wahrheit macht oder im engeren Sinne macht? Sie lebt, arbeitet und freut sich des Tages. Ansonsten möchte ich Ihre nicht besonders dringend formulierte Frage an dieser Stelle zurück stellen, da sie meiner Meinung nach nicht hierhin passt.“

Das ist zwar etwas schroff und abweisend, bringt aber meine Meinung zum Ausdruck. Alternativ kann diese Frage auch mit der Wahrheit beantwortet werden.

  • „Sie macht gerade Diät.“
  • „Meine Frau ist ist Angestellte bei…“
  • „Sie kümmert sich um die Kinder und unsere Wohnung.“
  • „Ich habe keine.“
  • „Sie wartet vor der Tür auf mich, wir gehen nachher noch …“

Übrigens zielt die Frage „Haben Sie Haustiere?“ nicht auf Hund, Katze oder Vogel ab. Der Fragende will in diesem Fall wissen, ob Sie reisebereit sind. Mit Haustier kann so etwas schwierig sein, zumal, wenn Sie sich auf eine Vertriebler- oder Beraterstelle bewerben

Hat man die vielen Fragen im Gespräch beantwortet, kann man zum Probearbeiten eingeladen werden. Was halten Sie davon?


Aus meiner Sicht passiert das noch nicht häufig genug. Beide Seiten können sich an einem Probearbeitstag viel intensiver und ungezwungener beschnuppern als in zwei eineinhalbstündigen Bewerbungsgesprächen. Alle Unternehmen mit denen ich zusammenarbeite, die Schnuppertage anbieten, haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

Manche Firmen wollen einen befristeten Vertrag – mit der Begründung, dass die Probezeit zu kurz sei, um sich richtig kennenzulernen. Andere laden erfahrene Bewerber zu Rechentests ein. Dritte legen fest, wann Mitarbeiter Urlaub nehmen sollen. Wie passt das zum Fachkräftemangel?


Aus meiner Sicht gar nicht. Schließlich sind Unternehmen auf Mitarbeiter angewiesen. Und zwar im Zeitalter von Work-Life-Balance. Viele Unternehmen wollen jedoch 100 Prozent Aufmerksamkeit für sich und dulden keine Nebenbuhler. Es ist noch zu viel die „Alter Schlag-Denke“ auf der Arbeitgeberseite enthalten. Würden sie ihren Mitarbeitern Freiheit, Verantwortung und Gestaltungsspielräume geben, wären sie überrascht, wie gut das Miteinander laufen kann. Auf der anderen Seite benötigt man dafür engagierte und motivierte Mitarbeiter, die intelligent und kreativ sind. Ich garantiere jedem, dass er mit den von Ihnen beschriebenen Methoden genau diese als erste verprellt.

Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass ein Bewerbungsprozess möglichst schnell vorangetrieben wird. Ich höre aber immer wieder, dass es Wochen oder Monate dauert, bis der Bewerber etwas vom Unternehmen hört. Manchmal hört er auch nie wieder etwas. Ist das normal?


Leider ja. Es kommen häufig Standardantworten aus den Webportalen über die Eingänge der Bewerbung – und dann 2 bis 6 Wochen nichts. Hier hilft – auch gegen den ausdrücklichen Wunsch, dieses nicht zu tun – die Nachfrage beim Unternehmen. Unternehmen sollten sich aber dessen bewusst sein, dass sie wertvolle Chancen verlieren, gute Mitarbeiter zu finden, wenn sie so lange brauchen. Die besten Bewerber sind nämlich in der Regel am schnellsten wieder weg. Oft liegt es an altbackenen Prozessen im Unternehmen oder an der mangelnden Kommunikation zwischen Fachabteilung und HR.

Ich habe schon erlebt, dass die Fachabteilung auf der einen Seite jammert, dass es keine Bewerber gibt, auf der anderen Seite aber nicht in der Lage ist, zeitnah auf Kandidaten aus der HR zu reagieren. Unternehmen, die sich hier schlanker aufstellen, finden schneller, besser und effektiver neue Mitarbeiter.

Mir wurde außerdem zugetragen, dass viele Stellen nach einigen Monaten wieder vakant sind. Wie kann das sein?


Das kann mehrere Gründe haben. Das Unternehmen sagt dem neuen Mitarbeiter ab, weil er doch nicht passt. Oder der Kandidat tritt die Stelle nicht an, weil er etwas anderes gefunden hat. Ich persönlich halte nicht viel davon, sich nach erfolgreichem Vertragsabschluss weiter umzuschauen. Pacta sunt servanda – die Verträge sind einzuhalten. Das ist wie heiraten und weiter auf die Datingplattform schauen.

Von wegen Fachkräftemangel: Das rätselhafte Verhalten vieler Unternehmen im Bewerbungsprozess

7 Kommentare zu „Von wegen Fachkräftemangel: Das rätselhafte Verhalten vieler Unternehmen im Bewerbungsprozess

  • Juni 16, 2016 um 9:20 am Uhr
    Permalink

    Das hat meiner Meinung nach alles damit zu tun, dass sich niemand in den Unternehmen (> 20 Mitarbeitern) mehr verantwortlich fühlt. Den Mitarbeitern ist es schlicht egal, wen sie da z.B. im Vorstellungsgespräch vor sich haben. In größeren Firmen ist es dazu häufig so, dass die Personen die im Gespräch sitzen von der eigentlichen Materie überhaupt keine Ahnung haben, weil sie z.B. aus einem ganz anderen Bereich kommen. Sie können demnach nur vorgegebene Standardfragen stellen.
    Ein anderer Punkt ist ja z.B. auch die Frage warum viele Mitarbeiter die Stelle wechseln. Ich kenne kein Unternehmen, welches wirklich ehrlich nach den Gründen für eine Kündigung fragt. Und zwar so, dass es dem Mitarbeiter auch möglich ist ehrlich darauf zu antworten, also nach der Erstellung eines Zeugnisses. Auch hier: Es ist dem/der jeweiligen Personalleiter schlicht egal, weil es ihn eben nicht persönlich trifft…

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  • Juni 13, 2017 um 9:33 am Uhr
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    Unternehmen und die Agentur für Arbeit haben sämtliche Aspekte von Moral abgeworfen

    die meisten Stellenangebote sind heute nicht vakant
    ich kenne mittlerweile die 50-70 unternehmen auswendig die angeblich ständig suchen und am Ende dann keinen einstellen

    Kununu sei dank weiss ich auch dass es nicht an mir liegt

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    • Juni 13, 2017 um 9:38 am Uhr
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      Hallo Thorsten,
      danke für diesen Kommentar. Generelle Aussagen dieser Art helfen aber niemandem weiter. Kannst du hier bitte Butter bei die Fische machen? Besser wäre es, wenn du einen Fall konkret beschreibst oder eventuell zumindest die Branchen nennst, in denen diese 50 bis 70 Unternehmen arbeiten. Ich kenne nämlich auch die andere Seite. Gerade in der Finanzbranche werden Leute händeringend gesucht, oft auch im Handwerk und in der Pflege. Und es finden sich keine Bewerber. Man kann diese Aussage also nicht so generell treffen.

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  • Oktober 8, 2017 um 3:00 pm Uhr
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    Da muss ich Torsten recht geben. Auch ich kenne einige Unternehmen, die seit Jahren die selbe Stelle auf der eigenen Webseite ausgeschrieben haben. Nachdem ich nach 2 Monaten nix von der Bewerbung hörte, habe ich angerufen. Die Stellenausschreibung dient nur dafür, den Bewerberpool aufzufrischen: D.h. falls diese Firma irgendwann einmal Hilfe benötigt, klappiert diese Ihren Bewerbungspool ab. Dass davon die meisten Bewerber inzwischen kein Interesse mehr haben ist dem Unternehmen wohl noch nicht aufgefallen….

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  • Januar 28, 2019 um 12:39 pm Uhr
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    Guten Tag,
    als Elektrotechniker hatte ich schon so einige Vorstellungsgespräche und ich muss sagen ich bin oft unterwegs und wechsel alle paar Jahre mal meinen Wohnort. Das fällt natürlich in meinem Lebenslauf auf aber die Unternehmen haben nur manchmal ein Problem damit. Oft ziehe ich mein Ding einfach durch und wenn das eine nicht will gehe ich eben zu einem von den fünf anderen die mich wollen.

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    • Januar 28, 2019 um 12:43 pm Uhr
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      Das klingt gut. Deinen Link auf ein Elektroportal habe ich allerdings entfernt, weil ich nicht so auf untergeschobene Werbung stehe.

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  • April 23, 2020 um 10:41 am Uhr
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    Gut zu wissen, dass es in der Elektrotechnik einen hohen Bedarf an Fachkräften gibt. Ich werde bald fertig mit der Schule sein und seit einiger Zeit überlege ich mir eine Ausbildung im Bereich Elektrotechnik. Wie du schreibst, ist es ein starker Markt. Danke für das Interview, sehr interessant!

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