Nicht nur positive Seiten: die neue Lust am Teilen
Nicht nur positive Seiten: Sharing Economy und die neue Lust am Teilen

Es ist halb sieben, als Annas Wecker wie jeden Morgen unter der Woche klingelt. Anna ist 37, verheiratet, hat zwei kleine Kinder und lebt in Köln. Sie steht heute besonders leise auf, denn im Nachbarzimmer schläft Miguel aus Argentinien. Anna und ihr Mann vermieten das Gästezimmer manchmal an Reisende, die über Airbnb, 9flats oder einen der anderen Marktplätze für private Wohnunterkünfte Schlafmöglichkeiten suchen. Für die junge Familie ist das ein kleines Zubrot, und die Kinder lernen viele unterschiedliche Kulturen kennen über die Gäste, die mal mehr, mal weniger am Familienleben teilnehmen.

Gut teilbar: Auto und Arbeitsplatz

Nachdem sie die Kinder in den Kindergarten gebracht hat, geht ihr Tag erst richtig los: Sie hat heute einen Auswärtstermin bei einem Kunden: Anna ist selbstständig, sie hat Grafik-Design studiert. Ihr Auto hat sie vor Jahren schon abgeschafft: In Köln findet man keine Parkplätze und steht immer im Stau. Außerdem ist ihr der ökologische Aspekt des Teilens wichtig: Je weniger Autos es gibt, desto weniger Rohstoffe werden verbraucht, und desto weniger Platz in der Stadt zugeparkt. Sie setzt darum auf Carsharing. Damit ist sie eine von vielen. Nach einer aktuellen Studie von TNS Emnid ist in ihrer Altersgruppe jeder Dritte der Meinung, dass sich das Auto besonders gut teilen lässt.

Nachdem sie das Auto nach dem Kundenbesuch wieder auf seinem Parkplatz abgestellt hat, nimmt sie das nächste Mietfahrrad und fährt damit zu ihrem Co-Working Space. Dort hat sie tageweise einen Schreibtisch mit der nötigen Infrastruktur gemietet, um ab und zu mal raus zu kommen. Auf dem Rückweg geht sie am Fairteiler am Kölner Allerweltshaus vorbei: Jemand hat dort säckeweise Möhren abgestellt, die andere sich kostenlos mitnehmen können. Sie sehen noch gut aus, und so entschließt sie sich spontan, eine Möhrensuppe zu kochen.

Nur wenige Meter weiter stehen sich in der Kölner Körnerstraße ein Bücherschrank und die Give Box gegenüber. Im Bücherschrank steht heute kein Buch, das sie interessiert, aber sie hat hier schon oft spannende Literatur gefunden. In der Give-Box legt sie einige CDs ab, die sie neulich aussortiert und extra heute Morgen eingepackt hat. Sie ist sich sicher: Die CDs werden dort schnell einen neuen Eigentümer finden. So wie auch die Hemden, Hosen und Röcke, das Geschirr und die abgestellten Kosmetikartikel, die andere Kölner nicht mehr wollen und brauchen und sie darum hier vorbeigebracht haben.

Sharing Economy ist auch Nachbarschaftshilfe

Später am Tag muss sie noch den Rasen in ihrem kleinen Garten mähen. Ein eigener Rasenmäher war ihr zu teuer, und so oft braucht sie ihn auch nicht, dass sich die Anschaffung gelohnt hätte. Außerdem findet sie, dass Eigentum Ballast ist und unflexibel macht: Man hat doch genug Dinge im Haus, die man viel zu selten benutzt. Darum hat sie mit den Nachbarn eine Übereinkunft getroffen: Sie darf sich den Rasenmäher wie die anderen Nachbarn auch aus der Garage holen, wenn diese geöffnet ist. Beim Zurückbringen wirft man dafür zwei Euro in die bereitstehende Box.

Nach der Gartenarbeit ist es bald schon Zeit, die Kinder ins Bett zu bringen. Mit den anderen Eltern aus dem Kindergarten hat sie einen Bücherzirkel gegründet: Jeder Haushalt kauft ein Buch und alle Bücher werden Reihe um verliehen. Medien wie CDs oder Bücher teilen die unter 40-Jährigen laut TNS Emnid nämlich besonders gerne. Zurzeit hat Anna ein Buch über ein Burggespenst, aus dem sie den Kleinen vorliest. Dann wirft sie noch einen schnellen Blick auf die Crowdfunding-Plattform „Viele schaffen mehr“ der Volksbanken Raiffeisen: Geschafft! Das Studio 11 bei ihr um die Ecke bleibt ihr als Ort für Tanzkunst und –vermittlung dank vieler kleiner Beträge anderer Bürger erhalten. Das Friedhosfmobil für Senioren dagegen hat die nötige Crowdfunding-Summe nicht erreicht. Schade!

Ein Blick auf die Uhr – sie gähnt. Jetzt geht sie selbst ins Bett. Ein langer Tag geht zu Ende. Und morgen muss sie früh raus: Am Vormittag zieht schon der nächste Gast für einige Tage bei ihr ein: Es ist eine junge Schwedin. Madelene heißt sie, und sie will für fünf Tage Köln und die Kölner erkunden. Annas Gästezimmer hat sie im Internet gefunden. Wo sonst?

Teilen? Ein alter Hut!

Neu ist der Gedanke des Teilens natürlich nicht: Unter Freunden oder in der Familie teilt man schon immer. Heute finanzieren Bürger ihre Projekte über Crowdfunding, also das Einsammeln kleiner Geldbeträge von Privatleuten. Allerdings kann sich nur jeder Vierte laut TNS Emnid-Umfrage derzeit vorstellen, eine Produktidee finanziell zu unterstützen. Angefangen hat die Idee des neuen Teilens im Netz mit Filesharing und dem Teilen von Nachrichten in sozialen Medien. Heute teilt man über entsprechende Plattformen auch Wohnungen, Autos oder Elektrogeräte. „Die Rede ist darum von der Plattformökonomie“, sagt so auch Miika Blinn, Referent Digitales und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Immerhin habe sich die Investition in Start-ups der Sharing Economy in vier Jahren um das 20-Fache gesteigert.

Davon abgesehen gibt es in Deutschland 8.000 Genossenschaften mit 22 Millionen Mitgliedern. Sie verfolgen gemeinsam ein Ziel, das der Einzelne alleine nicht erreichen würde – beispielsweise bessere Konditionen beim Kauf eines Produktes. Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband macht deutlich, wie oft man als Verbraucher mit einem genossenschaftlichen Modell in Berührung kommt, ohne es möglicherweise zu wissen: Das beginnt mit der Milch im Kaffee am Morgen, die aus einer der 251 Molkereigenossenschaften kommt, geht weiter über das Lesen der Tageszeitung taz, die von einer Verlagsgenossenschaft herausgegeben wird, und den Besuch beim Zahnarzt, der Mitglied in der Ärztegenossenschaft ist. Auch der Einkauf bei Edeka oder Rewe bringt Bürger mit Genossenschaften in Verbindung: Beide sind genossenschaftliche Händler. Und das Glas Wein am Abend kommt vermutlich aus einer der 179 deutschen Winzergenossenschaften. Selbst Gasthäuser werden genossenschaftlich geführt.

Auch in der Sharing Economy ist nicht alles Gold was glänzt

Der genossenschaftliche Gedanke des Teilens war also vermutlich nie so präsent in der Bevölkerung und so modern wie heute. Trotzdem – so gut viele Aspekte der Sharing Economy sind: Es gibt auch dunkle Seiten. Der Verbraucherzentrale Bundesverband weist in seinem Diskussionspapier zum Thema beispielsweise daraufhin, dass letztlich nur die teilen können, die auch etwas haben. Dadurch könne sich das soziale Ungleichgewicht verstärken: Wer kein Gästezimmer hat, weil er sich keine Wohnung in dieser Größe leisten kann, der kann damit auch kein Geld verdienen. „Wenn in der Plattformökonomie nur die Habenden mit ihrem Besitz Rendite erwirtschaften, können gesellschaftliche Bruchstellen vertieft werden“, sagt so auch Blinn.

Auch der ökologische Pluspunkt kann sich ins Negative drehen. Dann beispielsweise, wenn Schlafplätze in Privatwohnungen so günstig geworden sind, dass sich die Reisenden mehr als einen Urlaub im Jahr gönnen und darum mehrmals weite Strecken mit dem Auto oder im Flugzeug zurücklegen. Schließlich spielt auch die Sicherheit eine große Rolle: Gewerbliche Zimmervermieter zum Beispiel müssen Brandschutz und Hygiene garantieren, private Vermieter nicht. Der Übergang zwischen privaten und gewerblichen Vermietern ist jedoch oft fließend oder nicht klar zu erkennen.

„Als Verbraucherzentrale Bundesverband fordern wir darum eine klare Abgrenzung zwischen privaten und gewerblichen Anbietern“, so Miika Blinn. Das sei auch Aufgabe der Plattformen. Sie sollten überdies für die privaten Anbieter Versicherungen anbieten, so dass der Verbraucherschutz für den Kunden nicht ausgehebelt werde, wenn er sich für die Alternative zur klassischen, gewerblichen Lösung entscheide. Das alles solle jedoch so unbürokratisch wie möglich geschehen, denn: „Grundsätzlich finden wir, dass die Sharing Economy für die Verbraucher eine gute Sache ist“, sagt Verbraucherschützer Blinn. „Schließlich gibt es durch die kollaborative Ökonomie mehr Angebote, mehr Flexibilität, niedrigere Kosten und eventuell sogar einen geringeren Ressourcenverbrauch.“

Sharing Economy: Das geteilte Leben
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