Es ist heiß, 34 Grad Celsius am Tag, 32 Grad nachts im Zimmer. Schatten gibt es kaum. Im nordwestlichen Turkana County in Kenia ist es trocken, immer wieder sieht man spontane Sandwalzen übers Land rollen oder als Hosen gen Himmel steigen. Vorbeifahrende Autos ziehen Staub hinter sich her, der sich schnell in Mund und Nase verteilt. Hinzu kommt der beißende Geruch von ewig Schwelendem, der sowohl die Lunge als auch die Augen schmerzhaft reizt. In dieser unwirtlichen Gegend und außerhalb meiner Komfort-Zone habe ich eine Woche lang einen Workshop zu mobile video gegeben.
Das klingt wie ein Widerspruch in sich, denn im Turkana County sind laut Angaben von Wikipedia nur 1,5 Prozent der Haushalte an den Strom angeschlossen, viele Bewohner sind Nomaden. Oder Flüchtlinge: In Kakuma, einem Ort in dieser Region, leben nämlich rund 200.000 Menschen, die vor Krieg oder Terror aus dem angrenzenden Südsudan und Somalia geflohen sind. Nur zum Vergleich: Laut Auskunft der Bezirksregierung Arnsberg sind Stand gestern in ganz NRW gerade einmal 25.243 Flüchtlinge untergebracht. In die größte Unterkunft passen 1600 Menschen – belegt ist sie mit 479 Flüchtlingen.
Nachrichtenschau in der Wüste
Viele unserer Workshopteilnehmer sind um die 20 Jahre alt, sehr viele sind hier geboren. Das Kakuma Refugee Camp gibt es nämlich schon seit Anfang der 90er Jahre. Unsere Kursteilnehmer haben entweder eine journalistische Grundausbildung, oder sie haben früher, noch in der Heimat, bereits als Reporter gearbeitet. Unsere Aufgabe ist es, ihnen beizubringen, wie man mit dem Smartphone eine Nachrichtenschau fürs Fernsehen produzieren kann. Ganz einfach ist das nicht, denn es sind ausschließlich Android-Phones im Umlauf, für die es nicht viele gute und gleichzeitig kostenlose Apps gibt, um Video aufzunehmen und zu schneiden. Oft ist außerdem der Speicher der Geräte voll, und da es keinen Strom gibt, ist es für die Teilnehmer außerdem schwierig, die Smartphones jeden Morgen geladen mit zum Kurs zu bringen. Denn dazu müssen sie einen Generator benutzen. Es können also auch die technischen Umstände jenseits der Komfort-Zone liegen.
Trotzdem ist der Workshop mehr als sinnvoll, denn künftig könnte man einmal die Woche oder vielleicht auch irgendwann einmal jeden Abend vor der Filmvorführung der Nicht-Regierungsorganisation FilmAid eine Nachrichtenschau unter freiem Himmel für die Anwesenden produzieren. Das hätte den großen Vorteil, dass die Campbewohner zeitnah über neue Regelungen und Angebote informiert würden. Zugegeben: Bis es soweit ist, wird noch etwas Zeit vergehen, aber zumindest ist der Grundstein dafür gelegt.
Geschichten unserer Kursteilnehmer – deutlich außerhalb einer europäischen Komfort-Zone
Es war mir schon vor Abflug klar, dass der Aufenthalt in Kakuma nicht spurlos an mir vorbeigehen kann. In den ersten Tagen waren wir jedoch alle so konzentriert auf die Arbeit, dass kaum ein Austausch zwischen den Kulturen stattfinden konnte. Am letzten Tag mussten wir jedoch einige Stunden bis zur Vorführung überbrücken. Und ich habe mich mit einigen Kursteilnehmern über ihr Leben unterhalten. Y. erzählte mir, dass er sein Alter nicht kenne. Er sei als kleines Kind ohne die entsprechenden Papiere ins Lager gebracht worden. Sein Alter wurde geschätzt. Er will auf jeden Fall in den Sudan zurück und das Land wieder aufbauen, wenn es dort ruhiger geworden ist. Jetzt, so sagte er mir, sei dort alles zerstört, als Christ dürfe er außerdem nicht mehr zur Schule oder Universität gehen. Sein Vater, sagt Y., sei in Äthiopien verschollen. Dorthin sei er irgendwann geflohen, als die Lage für ihn zu gefährlich geworden war in der Heimat.
M. will in den Südsudan. Geboren wurde sie während der Flucht ihrer Mutter, aufgewachsen ist sie in Kakuma. Sie hatte ein Stipendium, um an der Uni in Nairobi zu studieren, doch jetzt geht es für sie nicht weiter. Ihr Cousin, der im Südsudan als Social Media Manager gearbeitet hat, kam bei einer Explosion ums Leben. Darum will ihre Mutter nicht, dass sie in seine Fußstapfen tritt. Doch langfristig will sich M. von der Situation in ihrer Heimat nicht aufhalten lassen: „Es gehört immer Glück dazu. Auch meine Mutter hatte Glück, als sie hochschwanger floh und hier ankam“, sagt sie.
S. ist sich nicht sicher, ob er als IT-Experte oder Journalist arbeiten will. Vielleicht kann er beides miteinander kombinieren, hofft er. Bis es soweit ist, hat er zunächst einen kleinen Laden hinter Wellblechwänden, in denen er Kekse verkauft. Sein Bruder hat eine Aufenthaltsgenehmigung für die USA bekommen. Wo er wohnt, weiß er nicht, Kontakt hat er kaum noch zu ihm.
Was die Arbeit im Kakuma Refugee Camp für mich bedeutete
Ich habe, obwohl ich weit außerhalb meiner Komfort-Zone war, noch nie motiviertere Teilnehmer in einem Workshop gehabt als in Kakuma. Der Wunsch zu lernen und sich weiterzuentwickeln war unbändig. Ich gebe zu, dass ich spätestens am dritten Tag den Vorsatz hatte, dort nie mehr arbeiten zu müssen: zu heiß. Spinnen, Schlangen und Skorpione. Jeden Tag den geschmacklosen Maisbrei Ugali als Abendessen. Eine sehr strapaziöse Anreise: Entweder mit einem UN-Flieger in Kakuma auf der ungeteerten Landebahn landen. Oder im von der Polizei eskortierten Wagen gute drei Stunden über mehr Schlaglöcher als Straße bis zu einem anderen Flughafen. In beiden Fällen erst nach Nairobi, dann zurück nach Europa, mit etwas Glück direkt nach Frankfurt.
Aber spätestens als ich die Geschichten der Kursteilnehmer hörte, spätestens als mir M. zum Abschied fast weinend um den Hals fiel, als alle baten, man möge sie doch bitte nicht vergessen, spätestens da war mir klar, dass alles, was mir nicht gefiel, nichts als reine Luxusprobleme sind. Ich habe tatsächlich selten in meinem Berufsleben trotz aller technischen Widrigkeiten soviel Sinn während meiner Arbeit gespürt, wie an diesem Ort. Sollte ich also gefragt werden, ob ich bereit bin, ein zweites Mal dorthin zu reisen, werde ich das tun. Und letztlich kann ich es auch jedem Kollegen nur empfehlen – auch wenn man dafür seine Komfort-Zone unter Umständen weit hinter sich lassen muss.
Zusammengefasst hieß die Arbeit außerhalb der Komfort-Zone für mich:
- Seminarsprache Englisch statt Deutsch. Ich habe die jungen, afrikanischen Kollegen oft sehr schlecht verstanden, was auch daran liegt, dass sie sehr leise sprechen. Und mir fehlten viele Fachbegriffe, denn Video ist nicht der Schwerpunkt meiner Arbeit. Ich musste also oft nachfragen.
- Seminarthema Video statt Internet. Meine ganz wunderbare Kollegin, eine Fernseh- und Audiofrau, hat mich oft in den Pausen in aller Kürze instruiert. Sie hat Recht: Das journalistische Grundverständnis ist überall identisch. In den Rest muss man sich eben einarbeiten. Sehr schnell. Ich habe bemerkt, dass das geht. Und ich habe unfassbar viel gelernt.
- Seminarort Kakuma statt irgendwo in Deutschland. Ich war froh über meine Erfahrungen von meinem Tansania-Aufenthalt. Das hat es mir sicherlich leichter gemacht, mich vor Ort zurechtzufinden. Trotzdem haben die beiden Welten nichts miteinander zu tun. Gar nichts.
- Seminarteilnehmer: arm statt Mittelschicht. Das erfordert deutlich mehr Fingerspitzengefühl. Denn wenn bereits 99 Cent für eine App viel Geld sind, wird es schwierig, Anregungen für eine bessere technische Ausstattung zu geben.
- Seminartechnik Android statt Apple. Obwohl ich keine Android-Geräte habe, fiel mir das Umlernen erfreulich leicht. Auch die Apps funktionieren mehr oder weniger gleich. Trotzdem ist Apple in vielem komfortabler.
Ich bin dankbar dafür, diese wunderbaren Menschen kennengelernt zu haben, dankbar auch dafür, dass mich der einwöchige Aufenthalt wieder einmal mehr geerdet hat. Und dankbar dafür, in Deutschland leben zu dürfen. In einem Land, das noch immer friedlich und reich ist – im Vergleich zu so vielen anderen Regionen auf diesem Planeten.
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