Es muss 1989 oder 1990 gewesen sein, als mein damaliger Kollege bei den Badischen Neuesten Nachrichten mir erzählte, was ihn umtrieb: „Der Zug hatte bei der Einfahrt in den Bahnhof einen Unfall. Und ich bin in die Redaktion gerannt, um den Fotoapparat zu holen, damit wir die Geschichte am nächsten Tag in der Zeitung haben. Ich habe keinen Verletzten geholfen – und ehrlich gesagt, ich habe nicht einmal daran gedacht zu helfen. Ich wollte nur das Foto.“ Damals sagte ich, um ihn ein bisschen zu trösten: „Es waren ja genügend Leute da, um zu helfen. Deine Arbeit ist es, zu informieren, nicht zu helfen.“
1996 habe ich dann Praktikum bei der Berliner Morgenpost gemacht. In Marzahn war ein Vietnamese von der Zigarettenmafia vor einem Supermarkt erschossen worden. Die Redaktion schickte mich mit einem Fotografen los: „Geh mal O-Töne einfangen. Vielleicht hat jemand was gesehen.“ Ich wollte nicht. Aber irgendwie hatte ich keine Wahl. Die Verkäuferin im Supermarkt fragte auf meine naiv-gestellte Frage zurück: „Tja, wie ist das wohl, wenn neben einem das Gehirn an die Wand klatscht?“ Dann kam ein kleiner Junge an und sagte: „Ich hab alles gesehen! Ich hab mit meinen Freunden dort hinter dem Busch gespielt.“ Und ich dachte, erzähl mir das bitte nicht, ich will gar nicht, dass Du das gesehen hast, Du bist zu klein!
Traumatisierte Journalisten
An diese beiden Situationen dachte ich gestern Abend beim Stammtisch der KJV-Journalistinnen. Dort war Petra Tabeling, die sich mit dem Thema Journalismus und Trauma beschäftigt – und darüber berichtete. Bisher gibt es wohl in der Öffentlichkeit wenig Wissen darüber, dass Journalisten genau so wie Soldaten, Sozialarbeiter oder Polizisten durch ihre Arbeit mit Opfern oder Gewaltsituationen krank werden können.
Petra Tabeling erzählte unter anderem von Kevin Carter. Der Fotograf nahm sich 1994 das Leben, nachdem sein Foto eines hungernden Mädchens in die Kritik gekommen war. Auch an Carolin Emcke, Kriegsberichterstatterin, scheint ihr Leben zu nagen. Sie hat darüber in ihrem Buch „Von den Kriegen“ geschrieben. Und das sind nur zwei Beispielsfälle – stellvertretend für die vielen Reporter, Kamera- und Tonmänner und -frauen, die in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs sind.
Besonders gefährdet: Boulevardkollegen
Traumatisiert werden Journalisten aber nicht nur dort. Wer häufig über sexuell missbrauchte Menschen berichtet, über kranke oder behinderte Menschen, über Opfer einer Naturkatastrophe oder eines Verbrechens, der kann genau so an PTSD – post traumatic stress disorder – leiden. Denken wir mal an die ganzen Boulevard-Leute … Allerdings: Natürlich wird niemand gezwungen, bei einem solchen Medium zu arbeiten.
Viele Informationen zu diesem Thema und auch Arbeitshilfen für den Umgang mit Opfern stellt das Dart Center zur Verfügung.
(Dies ist einer der wenigen Blogposts, die ich aus meinem alten Blog Küchenzuruf dank der Wayback Maschine retten konnte)