Dorothea Heintze ist Onlineredakteurin. Dass Inhalte im Netz verschenkt werden, hält sie für einen Fehler. Genau wie den Begriff Paywall. „Wir brauchen dafür ein weniger abstoßendes Wort“, sagt sie. Und bittet die Netzgemeinde um kreative Vorschläge.
Dorothea Heintze ist seit 20 Jahren Redakeurin bei chrismon/früher Sonntagsblatt und dort seit drei Jahren verantwortlich für den Onlineauftritt chrismon.de Sie pendelt zwischen ihrem Arbeitsort Frankfurt und Wohnort Hamburg, arbeitet dazu frei für den NDR und Printmedien und ist Autorin einiger Hamburg-Reisefüher. Die Krise im Journalismus empfindet sie „auch als hausgemacht“ – zuviele Inhalte wurden zum Jahrtausendwechsel im Netz verschenkt, eine Generation „Internet = kostenlos“ herangezogen. Außerdem, so ihre Meinung, habe die Krise auch etwas von Gesundschrumpfen: „Es gibt in Deutschland immer noch mehr Zeitungen und gute Radiosender als in den meisten anderen Ländern der Welt.“
Warum die Paywall dem Journalismus nicht weiterhilft
Allerdings müsse man für das Internet wirtschaftliche Lösungen finden, um dort Qualitätsjournalismus weiterhin anbieten zu können. „Nur auf die Reichweite zu schauen, ist hier der falsche Ansatz“, sagt sie. Denn die Nutzer interessierten sich weniger für Themen mit Tiefgang als für das Boulevardeske. „Wer also nur auf die Reichweite achtet, wird vermehrt entsprechende Inhalte anbieten“, sagt die Onlinerin. Sinnvoll findet Dorothea Heintze darum Geschäftsmodelle, die auf Mischformen setzen: Einige freie Inhalte, einige kostenpflichtige. Doch die müssen dann auch gekauft werden. „Solange es den Begriff Paywall gibt, wird das jedoch schwierig sein“, ist sie sich sicher.
Was gefällt dir nicht an dem Begriff Paywall?
Er ist so unglaublich negativ. Eine Paywall ist eine Mauer, die man überwinden muss, um an ein Produkt zu kommen. Das Produkt wird also vom Käufer abgegrenzt. Ich stelle mir immer vor, wie beim Kauf einer Wurst die Rede von einer Paywall, einer Bezahlschranke, wäre. Kein Mensch käme auf die Idee, davon zu sprechen. Die Wurst hat ihren Preis und basta. Genau so müssen journalistische Produkte ihren Preis haben – auch im Internet.
Welcher Begriff schwebt dir statt Bezahlschranke oder Paywall vor?
Ich denke schon sehr lange darüber nach. In Hamburg gibt es beispielsweise ein neues Gebäude, in dem die Mieter statt einer Miete eine Flatrate bezahlen: Die einzige Rechtfertigung dafür ist, dass die Wohnungen komplett vernetzt sind und dies in der Miete inbegriffen ist. Tatsächlich sind es natürlich Luxuswohnungen, die entsprechend kosten. Aber Flatrate? Das hört sich doch viel cooler an als Miete. Ein schlauer Schachzug vom Häuslebauer – es handelt sich übrigens um Xing-Gründer Lars Hinrichs, der hat schon immer viel von Marketing verstanden.
Wir hatten ja beim Frankfurter Tag des Onlinejournalismus schon einmal per Twitter nach einem besseren Begriff geforscht – und einige Antworten wurden uns geschickt. Davon hat dir aber keiner zugesagt?
Nicht so richtig. Ich frage mich, warum eigentlich noch keine Marketingagentur auf die Idee gekommen ist, einen Wettbewerb zu diesem Thema zu veranstalten. Vielleicht könnte man damit nicht nur einen neuen Namen finden, sondern auch mehr Sensibilität für das Thema im Netz wecken.
Warum ist es denn überhaupt so wichtig, dass sich Journalisten mit der Frage nach dem passenden Wort abgeben, um ihre Inhalte besser zu verkaufen?
Ich bin teils frei, teils angestellt, und ich musste meine Themen und Artikel Zeit meines Arbeitslebens verkaufen. Für viele etablierte Medien ist das eine neue Situation: Lange war es normal, dass Rezipienten gerne für ihre Produkte gezahlt haben. Erst durch die Gratis-Inhalte im Netz hat sich die Kaufkultur diesbezüglich verändert. Ein Fehler, ja, aber das ändert nichts daran, dass wir nach vorne schauen müssen. Wir müssen sehen, dass unsere Leser, Hörer, Zuschauer freiwillig wieder bereit sind, für qualitativ hochwertige Inhalte zu zahlen. Ich glaube allerdings, dass hochwertige, also inhaltlich anspruchsvolle Medien, für die wirklich breite Masse nie geeignet waren und es nie sein werden. Sie werden sicherlich Kunden behalten, allerdings möglicherweise nur noch wenige. Will man diese weiter beliefern, müssen Medien teurer werden. Und dann braucht man erst recht ein gutes Wort, um die Nutzer zum Kauf anzuregen.
Ich glaube, dass die Bereitschaft für (insb. journalistische, um die es hier ja geht) Inhalte zu zahlen, durchaus gegeben ist. Das Problem ist die Art und Weise, die sich meist auf ein Abo beschränkt. Bei der Stiftung Warentest/Finanztest kann man m.W. einzelne Artikel kaufen, aber anderswo ist mir das noch nie untergekommen.
1.) Klar, digitale Abos z.B. von Tageszeitungen sind meist _relativ_ sehr günstig, wenn man sowieso die ganze Zeitung liest. Ich will aber kein ganzes Abo bezahlen, wenn ich alle drei Wochen mal einen Artikel von der entsprechenden Seite lesen will. Ich schließe ja auch kein Bratwurst-Abo ab.
Und 2.) will ich mich auch gar nicht der Verbindlichkeit aussetzen, die mit einem Abo verbunden ist. Ich will mal eben schnell einen Artikel kaufen.
Das Problem bei der Bezahlung einzelner Artikel ist aber das Fehlen geeigneter universeller Micropayment-Systeme. Insofern ist „Bezahlschranke“ in dem Zusammenhang ein durchaus berechtigter Terminus, wenn auch eher in Hinblick auf technische Hürden.
Kleine Beträge setzen ein Guthaben-System voraus. Eine einzelne Abbuchung wie bei Paypal ist wegen der Bankgebühren zu teuer -was sich ja auch in den Paypal-Gebühren widerspiegelt. Dann will ich aber nicht bei 10 verschiedenen Anbietern, von denen ich sowieso nach kurzer Zeit die Passwörter vergesse, wenn nicht gar die komplette Existenz meiner Accounts, jeweils noch 9,21€ Guthaben herumschlummern haben, weil ich mal einen Artikel zu 79 Cent gekauft habe. Damit das angenommen wird, dürfte es nur wenige Zahlungs-Anbieter mit jeweils einer entsprechenden Marktdurchdringung geben, so dass die Anbieter der Inhalte alle wichtigen Micropayment-Systeme integrieren könnten.
Am Ende bleibt das Problem der Preisgestaltung. Wenn eine gedruckte Zeitung am Kiosk 3€ kostet, was ist dann angemessen für einen digitalen Artikel? Sicherlich deutlich mehr als der wortzahlige Anteil des Artikels an der Gesamtausgabe, denn die ist ja immer eine Mischkalkulation. Aber wenn man ehrlich ist, wären 99 Cent im Verhältnis wieder ganz schön viel. Ich glaube aber nicht, dass einzelne Artikel günstiger angeboten würden (o.g. Micropayment-System erstmal vorausgesetzt). Weil der Preis halt (tatsächlich oder vermeintlich) gezahlt würde. Vermutlich würden die Artikel, bei denen sich der Kauf auch lohnt, eher in Richtung 1,49€ und drüber gehen.
(Und wenn der Umsatz damit zu gering ist, weil sich potentielle Kunden bei den Preisen veräppelt vorkommen, heißt es wieder „Haben wir probiert, der Umsatz war zu gering!“…)
Hallo Stefan,
ich finde, du bringst das Problem sehr gut auf den Punkt – und ich bin voll und ganz deiner Meinung. Früher habe ich bei Blendle gelesen: 10 Euro aufgeladen und dann bei den Medien, die dabei waren, was mich interessiert hat. Jetzt funktioniert das leider auch nur noch mit Abo. Will ich nicht. Beim KStA habe ich ein Digitalabo, ärgere mich aber immer häufiger über die Inhalte. Mal sind sie nicht journalistisch einordnend, mal einfach nur ein Transkript eines Videos oder einer Audiofolge, mal so auf SEO getrimmt, dass es keinen Spaß mehr macht, sie zu lesen. Und mal so umgangssprachlich geschrieben, dass ich denke: Geht gar nicht. So macht man sich als Tageszeitung leider auch keine Freunde. Und das bestätigt mich wieder darin, dass ich lieber per Einzelabruf kaufen möchte – aber eben nicht über X Bezahlsysteme.
Viele Grüße
Bettina