Ich weiß, dass es umstritten ist, Zitate mit dem Gesprächspartner abzustimmen. Und ich weiß, dass dies in anderen Ländern komplett unüblich ist. Ich finde das auch gut – soweit es um investigative Themen und Meinungen geht. Würden diese Zitate abgestimmt, hätten wir nur noch flache Inhalte in den Medien. Bei der Art von Nutzwertjournalismus, die ich mache, sieht es aber etwas anders aus.
Zitate im Nutzwertjournalismus
In meinen Texten geht es darum, Orientierung zu geben und den Leser auf Fallen hinzuweisen. Kritische Zitate kommen hier höchst selten vor. Vielmehr geht es darum, ob beispielsweise die Apps Runkeeper oder Runtastic dem Nutzer mehr bieten, es geht um die Frage, wann ein Ratenkredit sinnvoller ist als ein Abrufkredit oder darum, wie viel man bei einem Wechsel des Stromanbieters einsparen kann. Korinthenkackerei nennen das manche. Erbsenzählerei andere.
Meistens bekomme ich von meinen Gesprächspartnern Fakten genannt, Zahlen und Daten. In die kann sich immer ein Fehler einschleichen: Der Gesprächspartner war sich nicht ganz sicher, ich hab’s falsch verstanden oder notiert, mich vertippt. Meine Artikel sollen jedoch inhaltlich fehlerfrei sein – auch, weil hinter mir als freier Journalistin kein Justiziariat steht, das mich im Zweifel rausboxen könnte. Für mich ist es darum eine Form der Qualitätskontrolle, ein Zitat dem Gesprächspartner zuzuschicken und zu fragen, ob es inhaltlich korrekt ist. Die Betonung liegt auf „inhaltlich“.
In über 90 Prozent der Fälle kommt die Antwort meistens kurz und knapp: „Alles ok!“. Selten passiert es, dass ein Gesprächspartner ein anderes Wort bevorzugt oder eine wichtige Ergänzung einschieben möchte. Einmal im Jahr passiert es aber, dass ich ein Zitat nicht frei bekomme. Und das war vergangenen Freitag der Fall.
Wenn ein Zitat Probleme macht
Ich habe einen Artikel für einen meiner Stammkunden geschrieben, und es geht um den Wechsel des Stromanbieters. Kein brisantes Thema, Nutzwert eben. Dazu habe ich mit drei Gesprächspartnern gesprochen, doch ich hatte im Text nicht genügend Platz, alle mit ihren ausführlichen Aussagen unterzubringen. Die sehr lange Antwort von Frau A. verkürzte ich darum auf einen Satz:
„500 Euro im Jahr spart beispielsweise nur, wer mehr als 8.000 Kilowattstunden jährlich verbraucht“.
Von der Pressereferentin der Organisation der Frau A. angehört, bekam ich die Antwort, Frau A. sei mit diesem Zitat nicht einverstanden. Sie möchte sich so zitiert sehen:
„Stromkosteneinsparungen von bis zu 500 Euro pro Jahr sind in der Regel nur von Haushalten mit sehr hohem Stromverbrauchswerten von mehr als 8.000 kWh jährlich zu erreichen“.
Ein Zitat soll knackig sein
Ich rufe die Pressereferentin an, sage ihr, dass ich das Zitat sperrig und zu lang finde. Dass Wörter wie „Stromkosteneinsparungen“ und „Stromverbrauchswerte“ schwer lesbar sind, dass sie eine Zeile im Layout des Kunden fast komplett ausfüllen. Die Pressereferentin hat Verständnis. Doch sie sagt, sie könne den Wert des Zitats ohne Kontext nicht einschätzen. Ich möge ihr den ganzen Text schicken.
Nein, sage ich. Das ist nicht notwendig. Schließlich folge im Anschluss ein Zitat eines anderen Gesprächspartners, das sie sowieso nicht ändern könne. Darauf folgten im Text die Hinweise zum Stromanbieterwechsel, wo es nichts zu ändern gebe. Und der Einstieg sei auch irrelevant für sie.
Gut, sagt sie. Ob man dann mit „Einsparungen sind möglich“ in den Satz einsteigen könne. Ich:“’Einsparungen’ ist kein besonders aktives Wort. ‚Spart … ein’ ist da deutlich besser.“ Sie gibt mir Recht, möchte das Zitat aber trotzdem vorsichtiger formuliert haben.
Ich schicke ihr als mögliche Variante
„Bis zu 500 Euro im Jahr spart in der Regel nur, wer mehr als 8.000 Kilowattstunden jährlich verbraucht“
Zusätzlich bekommt sie zwei Sätze davor und zwei hinter dem Zitat. Sie bedankt sich, ist sicher, mir im Laufe des Tages Feedback geben zu können. Bis 18 Uhr ist nichts da, und auch am nächsten Morgen, dem Abgabetag: keine E-Mail.
Dann halt nicht
Ich nehme das Zitat und die Organisation aus dem Text heraus. Der Inhalt bleibt. Den geänderten Artikel schicke ich dem Kunden, erkläre, warum hier ein Zitat fehlt, das man eigentlich als Leser erwarten könnte. Der Kunde bittet, am Gesprächspartner dranzubleiben. Wirklich Lust habe ich dazu nach den Erfahrungen vom Vortag nicht, doch ich schicke eine Mail, sage, dass wir das Zitat nachschieben können, auch wenn das Medium bereits in der Produktion ist. Zwei Stunden später die Antwort:
Liebe Frau Blass,
leider habe ich auch das umformulierte Zitat nicht freigegeben bekommen. Sollte ich am Montag doch noch erfolgreich sein melde ich mich bei Ihnen.
Bitter, bitter, denke ich. Und habe Mitleid mit der Pressereferentin. Denn sie machte im Gespräch einen vernünftigen Eindruck. Wer sich hier quer stellt, ist Frau A. Offensichtlich eine Person, die nicht weiß, wie Journalismus funktioniert. Für die Pressereferentin ist das unangenehm. Denn ihre Aufgabe ist es, die Organisation in die Medien zu bringen. Das wird nicht funktionieren, solange Frau A. auf leserunfreundliche Zitate besteht. Doch das fällt auf die Pressereferentin zurück, der dann ihr Arbeitgeber und die Medien vorwerfen, dass sie ihren Job nicht gut mache. Traurig für sie. Ich aber bin wieder einmal froh darüber, auf dieser Seite des Schreibtischs zu sitzen, und nicht auf der der Pressereferenten.
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