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Selfie gegen Ignoranz
Selfie gegen Ignoranz

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, worüber ich mich mehr ärgere: Da ist erstens eine Printredaktion, die ihren Online-Chef nicht in der Chefredaktion haben möchte. Als ob ein Online-Redakteur per se ein schlechterer Journalist wäre. Dabei hängt es ganz sicher nicht von der Medienform ab, ob ein Journalist gut oder schlecht ist. Und auch nicht davon, ob er einen Kapuzenpulli trägt oder ein Sakko. Zweitens gibt es eine Solidaritätsaktion mit besagtem Onliner im Internet – #hoodiejournalismus – und im Anschluss daran eine Diskussion, die aus meiner Sicht den Kern nicht trifft. Über beides rege ich mich seit Sonntag auf. Dies sind meine Gedanken:

Hoodiejournalismus = Onlinejournalismus = schlecht

Im Jahr 2000, also vor unfassbaren 14 Jahren, wechselte ich in die Onlineredaktion der G+J Wirtschaftspresse in Köln. Dort gab es bereits drei Printredaktionen, und die Kollegen traten uns mit großer Skepsis gegenüber. Wir waren die, die die Marken beschädigten, Geld verbrannten, keine gute Ausbildung hatten, zuletzt auch ihre Arbeitsplätze gefährdeten. Und das, obwohl wir noch nicht ein Wort geschrieben hatten.

Dass in unserer Redaktion ausgebildete Journalisten arbeiteten, die bereits bei Test gearbeitet hatten, beim WDR und RTL, bei WISO und in anderen Redaktionen, das interessierte niemanden. Unsere Redaktion dachte damals über Videos nach, über interaktive Anwendungen, über Bezahlmodelle. Wir schrieben eigene Texte und brachten nicht einfach Heftinhalte ins Netz. Wir waren unserer Zeit voraus: Es gab noch nicht ausreichend DSL-Zugänge und Flatrates in Privathaushalten, mit langsamen Internetzugängen machte unsere Seite aber keinen Spaß, wir waren zum Scheitern verurteilt, bevor wir richtig in die Gänge gekommen waren: Redaktionsschließung.

Onlinejournalismus ist mehr als Copy & Paste

Immerhin hatten wir zu diesem Zeitpunkt eines erreicht, was offensichtlich 2014 noch nicht die Regel in Deutschland ist: Wir waren bei den Redaktionskonferenzen der Printkollegen dabei – um im Netz einen Mehrwert zu schaffen, der das Muttermedium nicht kannibalisierte. Das änderte jedoch nichts daran, dass wir die dummen Onliner waren, die Techniker, die man als Printkollege anrief, weil man nicht wusste, wie die Diskette ins Laufwerk gehörte. Journalistische Kompetenz sprach man uns zwei Jahre lang ab. Heute lese ich von jüngeren Kollegen auf Twitter, wir hätten diese Gräben ausgehoben, wir hätten nicht versucht, sie zu überbrücken. Das stimmt so nicht. Weder für mich, noch für meine damaligen Kollegen. Vielleicht für andere.


„Onliner machen alles kaputt!“

Ich dachte lange, der Graben sei nur in unserer Redaktion so tief. Bis ich 2001 bei einer Weihnachtsfeier einer journalistischen Organisation neben einer Kollegin saß, die deutlich älter war als ich: “Ihr macht uns alles kaputt“, sagte sie. Ich sagte ihr, dass ich nicht genau wisse, was sie meine. Dass ich Journalismus studiert habe, dass ich schon vorher in einer Redaktion mit sehr gutem Ruf gearbeitet habe, dass wir keinen Copy & Paste-Journalismus machen, dass Internet und der Onlinejournalismus nicht mehr verschwinden würden. Sie schwieg. Einige Monate später wurden wir entlassen. Unserem Arbeitgeber hatte die Weitsicht und die Geduld gefehlt, aus einem sehr guten Konzept eine tolle Internetpräsenz zu machen.

Seit 2003 bin ich selbstständig. Der Anteil an Online-Aufträgen hat seither ständig zugenommen. 2007 behauptete ein Kunde, dass Twitter ein Jahr später tot sein würde. Ich lachte ihn innerlich aus. Dieses Jahr wurde der Kurznachrichtendienst acht, und ich erwarte eine ähnliche Aufteilung meiner Umsätze wie 2013: Voriges Jahr habe ich 83 Prozent meines Einkommens mit Aufträgen gemacht, die irgendwie mit dem Internet in Verbindung standen: Texte für Online geschrieben also oder Seminare gegeben, die Web 2.0 und Social Media oder ähnliches erklären. Das nur nebenbei zum Thema, man könne als Journalist im und mit dem Netz kein Geld verdienen. Mein Entsetzen ist dementsprechend groß, wenn ich 2014 lese, dass die Gräben, die es vor 14 Jahren schon gab, in einigen Redaktionen noch immer nicht geschlossen sind. Unfassbar.

Dem Journalismus fehlen die Ideen

Besonders vor diesem Hintergrund: Als wir vor 14 Jahren eine Onlineredaktion bildeten, waren wir Anfang 30. Die, die bei Print etwas zu sagen hatten, waren Mitte, Ende 40 aufwärts. Viele von ihnen arbeiten heute nicht mehr im Journalismus. Sie sind in Rente oder machen etwas ganz anderes. Wir, die wir damals die bösen Onliner waren, wir sind heute die, die Mitte, Ende 40 aufwärts sind. In vielen Redaktionen haben heute Kollegen in diesem Alter das Sagen – und sie machen die gleichen Fehler wie damals die Printkollegen, für die das Internet zurecht noch Neuland war? Obwohl sie 14 Jahre mehr Interneterfahrung haben? Das finde ich unglaublich. Diese Ignoranz ist es, die mich so aufgeregt hat, dass ich ein Selfie im Hoodie gemacht habe. Aus Protest. Um darauf hinzuweisen, wie wenig sich in 14 Jahren bewegt hat. Ganz ehrlich: Kein Wunder, dass es der Medienbranche so schlecht geht.

In diesem Sinne schließe ich diesen Beitrag mit dem Tweet des geschätzten Kollegen Michael Scheuch:

Was mich an der Geschichte hinter #hoodiejournalismus so richtig nervt

Ein Kommentar zu „Was mich an der Geschichte hinter #hoodiejournalismus so richtig nervt

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