Im Rahmen kleinerer Aufträge hat sich das empirica Institut in Berlin mit der dem demographischen Wandel und der Bevölkerungsstruktur in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Rheinland-Pfalz beschäftigt. Zunächst schaute man, wo Schrumpfungsregionen sind, dann suchte man nach Best Practice Beispielen gegen die Bevölkerungsabwanderung. Das Ergebnis der Untersuchung schildert Reiner Braun, Vorstand, im Interview.
Was waren Ihre wichtigsten Erkenntnisse?
Sehr wichtig ist, dass der demographische Wandel kein Problem Ostdeutschlands ist. Im Gegenteil ist man dort schon weiter, weil bereits vor 10, 15 Jahren viele Leute dort weggezogen sind. Außerdem ist es Quatsch, dass Städte wachsen, weil die Leute aus dem Umland in die Stadt ziehen. Im Gegenteil sind in vielen attraktiven Städten die Mieten so hoch, dass die Städter aufs Land ziehen. Allerdings gibt es natürlich trotzdem wachsende Städte. Sie wachsen jedoch durch überregionale und internationale Zuzüge. Durch die überregionalen Zuzüge werden andere Regionen logischerweise zu Schrumpfungsregionen.
Reiner Braun über Schrumpfungsregionen:
Info-Broschüre von Empirica: „Kein ‚Zurück in die Stadt’ sondern Landflucht“
In den schrumpfenden Regionen gibt es aber auch so etwas wie lokale Perlen. Das sind Orte, die durch Umzug aus der Umgebung wachsen. Schaut man sich diese an, kann man ableiten, was Kommunen machen müssen, damit sie nicht weiter schrumpfen. Allerdings muss man ganz klar sagen: Die Deutschen werden weniger. Und dementsprechend können nicht aus allen Schrumpfungsregionen oder –städten plötzlich wieder wachsende Orte werden. Das ist einfach so. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es langfristig Regionen geben wird, in denen immer weniger und irgendwann keiner mehr wohnt.
Wie realistisch sind die Prognosen zum demographischen Wandel?
Ich persönlich finde Prognosen auf Kommunalebene bis 2030 sehr gewagt und würde sie mir nicht zutrauen. Schließlich ist eine Prognose nichts anderes als ein fortgeschriebener Trend. In den 90er Jahren zogen viele Leute ins Umland, da standen in den Städten Wohnungen leer. Hätte man damals gesagt, dass die Leute einige Jahre später überregional abwandern und verstärkt in die attraktiven Städte ziehen, hätte das kaum einer geglaubt. Trotzdem schrumpfen bereits einige Regionen. Damit setzt eine Spirale ein, die man nur schwer aufhalten kann.
Und die Politik lässt das zu?
Die Politik traut sich nicht, das Thema anzugehen, denn die Folgen sind drastisch: Ein Politiker, der zu den Bewohnern eines Ortes sagt, dass es diesen bald nicht mehr geben wird, ist schnell weg vom Fenster, den wählt keiner mehr. Ein erster und häufig unbeliebter Schritt sind darum Ortszusammenlegungen, denn damit spart man Kosten beispielsweise in der Infrastruktur und der Verwaltung. Allerdings verlieren die Orte dabei ihre Individualität. Davon abgesehen: Letztendlich kann die Politik nicht entscheiden, einen Ort zu schließen. Man kann aber Wettbewerbe mit unabhängigen Jurys ausschreiben: Die Ortschaften im Landkreis, die die besten Konzepte gegen die Schrumpfung entwickeln, werden dabei finanziell unterstützt.
Häufiger werden aber Subventionen vom Bund dort gefordert, wo die Wohnungsknappheit groß ist. Das heißt es geht oft um den sozialen Wohnungsbau und um Steuervorteile für frei finanzierte Wohnungen in Wachstumsregionen. Die Folge ist häufig, dass die falschen Objekte am falschen Ort gebaut werden. Sozialwohnungen führen außerdem oft zu Fehlbelegungen. Denn auch die finanzielle Situation eines Bewohners kann sich verbessern: Zwar gibt es Regeln, wer dort einziehen darf, aber wer drin ist, bleibt auch drin.
Reiner Braun über das Verhältnis Stadt/Land:
Das ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn. Also muss man sich fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn der Bund die Schrumpfungsregionen durch entsprechende Konzepte attraktiver macht. Dann fehlen in den Städten keine Wohnungen und es gibt weniger Schrumpfungsregionen. So oder so: Es kostet in jedem Fall viel Geld.
Info-Broschüre von Empirica: „Wer Wohnungen sät, wird Einwohner ernten“
Was wäre ein gutes Konzept gegen den demographischen Wandel?
Ob eine Stadt überleben kann oder nicht, hängt von mehreren Faktoren ab. Zu den harten Faktoren gehört die Lage: Eine Stadt mit Kulturgütern oder Bergen und Seen hat bessere Chancen als eine Stadt ohne spezielle Reize. Natürlich spielt auch die Infrastruktur eine Rolle: Halten dort Züge? Und Arbeitsplätze sind ein ganz wesentlicher Faktor dafür, dass ein Ort überleben kann. In einigen Regionen dreht sich diesbezüglich aber das Problem um: Es gibt Arbeitsplätze, aber keinen Nachwuchs, weil dort niemand wohnen will. Darum versucht man an einigen Orten, Fachhochschulen aufzubauen, um Nachwuchskräfte auszubilden und auch an zu binden. Das geht natürlich nur, wenn es auch die entsprechenden florierenden Unternehmen bereits gibt.
Mindestens genau so wichtig sind aber die weichen Faktoren: ein lebendiges Ortszentrum beispielsweise. Solange es noch Geschäfte gibt, muss man zusehen, dass sie im Ortskern bleiben und sich nicht am Ortsrand ansiedeln. Natürlich braucht man auch Ärzte, Apotheken und einen öffentlichen Personennahverkehr. Viel zu lange hat man vernachlässigt, dass auch kleine Orte schnelles Internet bieten müssen. Außerdem gehören Stadtfeste zu den weichen Faktoren – solange sie von den Bürgern gewollt sind und auch von ihnen mitgetragen werden. Wochenmärkte, Schützenfeste und auch ein buntes Vereinsleben gehören dazu, eben alles, was zur Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt oder ihrem Dorf beiträgt.
Reiner Braun über Konzepte:
Anderes gutes Beispiel: In einer Kommune gab es eine Burg, die beliebtes Ausflugsziel war. Auch Reisebusse fuhren dorthin. Aber es gab keine Verbindung zur Stadt. Also hat man eine Straße zwischen der Stadt und der Burg gebaut und den Ortskern verschönert, und seitdem kommen auch mehr Gäste in die Stadt.
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