Er kennt mein digitales Fotoalbum mit den Türen der estnischen Hauptstadt Tallinn. Ich bin überrascht. Und verstehe jetzt, warum er mich nur wenige Minuten zuvor verdutzt angeschaut hatte. Er, das ist Jos de Schiffart, Gründer von MyAlbum. Jos de Schiffart saß die letzten Stunden neben mir im Kongresszentrum der Kölnmesse, dort, wo ausführlich über die Zukunft der Fotobranche und Bilder im Alltag gesprochen wurde.
Plötzlich, nach der Pause, stand Jos de Schiffart auf der Bühne und präsentierte seine App: Mit MyAlbum kann man sehr schnell am Handy oder über eine Webanwendung ein digitales Fotoalbum machen. Als der MyAlbum-Gründer an seinen Platz neben mir zurückkam, zeigt ich ihm meinen Smartphone-Bildschirm mit meinen MyAlbums. Er schaute irritiert. „Sind das deine?“, fragte er. „Ja“, sagte ich. „Ich mag MyAlbum wirklich gerne.“ – „Das mit den Türen kenne ich“, sagte er. „Wir haben es angefeatured, nicht? Das ist wirklich toll!“ Das war der Moment, an dem ich verblüfft schaute.
Welche Bilder-Apps noch vorgestellt wurden
Zusammen mit MyAlbum wurden sieben andere Apps vorgestellt. Jeder Sprecher hatte nur drei Minuten Zeit, sein Produkt zu präsentieren. Interessant fand ich, dass 2015 überwiegend Selfie-Apps vorgestellt worden waren. 2016 sind es fast nur Apps, um zu drucken:
- Mit Bundle kann man Fotoalben teilen – ähnlich wie mit iPhoto.
- Pictorine ermöglicht es, bei Wallgreen’s innerhalb von 45 Minuten seine Ausdrucke abzuholen. Ähnlich also zu dem, was CEWE in Deutschland bietet.
- Taopix ist eine B2B-Anwendung, mit der sich beispielsweise Kalender drucken lassen, bei denen sich das Kalendarium individuell einstellen lässt.
- EmotionsAR bietet Cloud Printing über Grenzen hinweg. Das Besondere dabei: Mithilfe von Augmented Reality lassen sich Botschaften oder Videos in die Fotos einbinden.
- Printicular druckt mit Kooperationspartnern in vielen Ländern Fotobücher, Poster oder Fotos.
- Kite ist ein Kooperationspartner für Apps wie Timehop, PicCollage oder Enlight. Letztere App hat mich überfordert.
- Pastbook sucht beispielsweise aus Instagram oder Facebook die Fotos für einen bestimmten Zeitraum und druckt sie aus.
Was die Fotobranche sonst noch bewegt
Multicopter, so erzählt uns ein Vertreter der Firma Yuneec, Multicopter seien das große Ding. Er zeigt uns ein Video mit beeindruckenden Luftaufnahmen, ein fliegender Fotoroboter, der eine Wandergruppe verfolgt und von unten gesteuert Bilder und Videos des Ausflugs macht. Spektakulär, die Wandergruppe alleine in der Wildnis, zwischen hohen Felsen und auf Bergen. Die Realität dürfte selten so aussehen. Denn wo Landschaften besonders sehenswert sind, sind in der Regel auch besonders viele Touristen. Vor meinem inneren Auge entsteht die Szenerie von Menschenmassen, und jede kleine Gruppe hat ihren eigenen Multicopter dabei. Es sind so viele Flugroboter, dass man kaum den Himmel noch sieht. Sie stoßen gegeneinander, stürzen ab, hinunter auf die Touristenmassen. Ein Fall für die private Haftpflichtversicherung? Yep, ich bin Verbraucherjournalistin.
Die Digitalisierung der Bilder und der Branche
Die meisten Redner beschäftigt die Digitalisierung und das mobile Internet. Damit verbunden ist immer wieder die Frage: Was werden die Millennials tun, die Erdenbürger, die nach dem Jahr 2000 geboren sind. Digital Natives sind längst nicht mehr interessant, den Millennials gebührt die Aufmerksamkeit. Den Begriff Digital Native finde ich übrigens noch immer albern. Ich lerne in meinem Beruf als Dozentin genügend Anfangs- und Mittzwanziger kennen, die keine Ahnung vom Internet haben und ihr Handy zum Telefonieren und WhatsAppen benutzen.
Sebastian Vögel von ip.labs präsentiert spannende Zahlen, die nicht zwingend an ein Alter gebunden sind: Zwischen ein und zwei Trillionen Bilder seien 2015 gemacht worden, sagt er. Eine Trillion, das ist eine eins mit 18 Nullen, schaue ich im Internet nach. Kameras werden verschwinden, sagt er. Es gehe mehr darum, den Moment einzufangen, nicht darum, große Fotokunst zu machen. Für Unternehmen liege die besondere Herausforderung darin, alle Betriebssysteme gleichermaßen zu bedienen, alle Funktionen webbasiert bereitzustellen. Schließlich lade man sich nur ungern Apps aufs Handy. Mobil nutzbar müssten die Anwendungen aber schon sein. Am besten sei, wenn sie sich am Ende eines langen Urlaubstages mit vielen gemachten Fotos automatisch beim Nutzer meldeten: „Hey! Du hast heute viele tolle Fotos gemacht! Ich habe sie zu einem Fotobuch arrangiert. Schau’s dir an. Willst du es drucken?“
Noch mehr Zahlen, Daten, Fakten hat Lee Boniface von Canon: Alle zwei Minuten mache die Menschheit mehr Bilder als in den 1800-Jahren insgesamt. Ein Drittel der Millennials lasse sich lieber den kleinen Finger abhacken, als offline zu sein, sagt er weiter. Und auch, dass rund 80 Prozent aller Fotos und Videos geteilt werden. Dementsprechend ist für ihn klar: Alle Fotoprodukte müssen auch teilbar sein.
Junge Leute drucken doch
Holger May von CEWE hat eine andere spannende Erkenntnis: 50 Prozent aller Fotos werden langfristig verwendet, sagt er. Das heißt, Nutzer drucken sie auf Kissen, Tassen, Duschvorhänge oder eben in Fotobücher. Letztere gibt es übrigens von CEWE bereits seit elf Jahren, das überrascht mich. Wie die Zeit vergeht. May hat noch eine Erkenntnis: Den jungen Leuten geht es gar nicht so sehr ums Geld. Sie drucken auch Höherwertiges.
Das deckt sich mit der Präsentation von Andrzey Herb von Imaging Solutions. Er teilt die „jungen Leute“ allerdings in drei Altersgruppen ein, und zwischen ihnen gibt es durchaus Unterschiede, gemeinsam sei den 15- bis 35-Jährigen nur, dass sie Smartphonenutzer sind:
- Bei den 15- bis 20-Jährigen stehen Freundschaften im Vordergrund. Auf dem Schulhof zeige man sich gegenseitig Apps, die man toll findet. Ist eine Fotoapp dort überzeugend, erlebt sie schnell einen Boom. Ein Fotobuch für diese Generation darf nicht mehr als zehn Euro kosten. Ein Anbieter sollte nicht mehr als drei Formate anbieten, da das nur verwirre. Bildbearbeitung und -erkennung solle integriert sein. Die Bearbeitungszeit, um ein Fotobuch zu machen, müsse unter einer Minute liegen. Dementsprechend kann das Ergebnis kein hochwertiges, individuell gestaltetes Fotobuch sein, sondern eher eine gebundene Ausgabe ausgedruckter Fotos, die man auch in der Hosentasche bei sich tragen könne.
- Die 20- bis 25-Jährigen ist die Partygeneration. Sie macht dementsprechend viele Fotos auf Partys. Auch darum stellen erste Anbieter an Partyörtlichkeiten Fotodrucker bereit.
- Die 25- bis 35-Jährigen sind die jungen Familien, die bereits einen Job haben. Sie geben für Produkte mit Bildern ihrer Kinder viel Geld aus.
Fazit
Wem es gelingt, diese Gruppe für Ausdrucke zu gewinnen, der könne auch in zehn Jahren noch auf sie zählen. In zehn Jahren, denke ich. Das ist in Zeiten der Digitalisierung ein gutes Jahrhundert. Wer weiß, ob es dann noch Smartphones gibt? Ob man dann dreidimensionale Welten auf Papier bannen möchte? Mutige Prognose also. Und wann habe ich eigentlich das letzte Mal Fotos ausgedruckt oder ein Fotobuch gemacht?
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