Mehr Wahrheit wagen – eine gute Zusammenfassung zum Stand des Journalismus

Journalisten haben es nicht leicht: Da sind Präsidenten und Parteien, die nicht wollen, dass über sie berichtet wird. Und um das zu verhindern verunglimpfen sie Medien, wann immer sie können: Lügenpresse und Fake News sind zwei Beispiele dafür, wie man Journalisten und deren Arbeit diskreditiert. Das Ergebnis: Viele Menschen, auch in Deutschland, glauben nicht mehr, was Medien veröffentlichen. Fatal. Denn ohne Journalismus keine Demokratie. Schließlich sind Journalisten in einem freien Land eben nicht dem Staat und der Regierung verpflichtet. Im Gegenteil setzen sie sich für die Bürger ein und schauen denen, die das Sagen haben, genau auf die Finger. Das gilt in der Politik und in der Wirtschaft: Der Diesel-Skandal wäre ohne Journalisten nie ans Licht gekommen. Oder die Berichterstattung über rechte Gesinnungsträger bei der Polizei und der Bundeswehr – die Bevölkerung wüsste ohne Medienmacher nichts davon. 

Mehr Wahrheit wagen – weltweit

Bei mir als Verbraucherjournalistin greift das Gesagte im Kleinen: Leser haben Probleme mit Versicherungen, Küchenherstellern oder Telekommunikationsanbietern? Es gibt viele Medien, die sich dieser Sache annehmen und quasi zum Anwalt des Lesers werden, ihm also helfen, seine Rechte durchzusetzen. Leider mögen das nicht Marktbeteiligten. Und leider lassen sich viele instrumentalisieren. So kommt es auch zu Hasskommentaren und digitalen Angriffen auf Journalisten. Die Landesmedienanstalt in Düsseldorf bietet darum regelmäßig Weiterbildungen zum Thema an. Und @räuberhose bei Twitter berichtet in Vorträgen davon, wie diese hassgesteuerte Kommunikation organisiert wird. Auch Alexandra Borchardt schreibt in ihrem neuen Buch „Mehr Wahrheit wagen. Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht“ darüber. Leider, so entnehme ich dem Buch, das mir der Dudenverlag kostenlos zur Rezension überlassen hat, ist es jedoch nicht nur in Deutschland so, sondern auf der ganzen Welt. Alexandra Borchardt beschreibt Beispiele aus den USA, aus Puerto Rico oder Argentinien – in denen ein Mangel an Journalismus zu Problemen führte. Und in denen kleine Journalistenteams schon Großes für die Gesellschaft erreichen konnten – bis zum Rücktritt eines Gouverneurs beispielsweise.

Digitale Innovation ist nicht der Kern alles Übels

Alexandra Borchardt richtet den Blick auch auf die sozialen Netzwerke: Sind sie schuld an der Misere? Die oft erwähnten Filterblasen und Echokammern? Nein, so das Ergebnis ihrer Recherche. Die gab es nämlich früher schon. Da war der Stammtisch die Echokammer. Oder die Zeitungsleser unter sich in der Filterblase. Heute informierten sich die Menschen sogar vielfältiger als früher, schreibt die Journalistin. Allerdings erreichen besonders krude Thesen über die sozialen Medien und die dort hinterlegten Algorithmen schnell besonders viele Menschen. Werden sie dann von den klassischen Medien übernommen, wird darüber also zusätzlich berichtet, erreichen sie einen Stellenwert, den sie oft einfach nicht verdient haben. Oder die großen Geister, die es auch früher schon in Print und TV gab, Influencer würde man sie vielleicht heute nennen: Sie haben durch die sozialen Medien an Einfluss verloren, weil sie plötzlich deutlich mehr Kritik ausgesetzt sind. Dafür werden die bedeutend, die den Algorithmus bedienen können.

Auch ein spannendes Thema: Die Vielfalt in den Redaktionen, die Kollegen und Nutzer zurecht immer wieder fordern. Aber was passiert, wenn sich die Vielfältigen, also beispielsweise Frauen oder ethnische Minderheiten so an die Redaktion anpassen, dass sie die Vielfalt, die sie mitbringen sollen, ablegen? Interessanter Gedanke! Ebenso der zum Thema Objektivität: Wie lange muss man Menschen in die Medien bringen, die behaupten, es gebe den Klimawandel nicht? „Wenn aber die Beweislast erdrückend ist, muss man sich dazu durchringen zu sagen: Die Zweifler liegen schlicht falsch. So wie einst irgendwann der Punkt kam, an dem offiziell klar war: Die Erde ist keine Schreibe, sondern rund. Punkt.“

Was fehlt: Die Antwort auf die Demokratie-Frage

Was das Buch von Alexandra Borchardt bietet, ist ein Rundumschlag zu den aktuellen Problemen in der Medienbranche. Und selbst wenn man diese grundsätzlich kennt, so sind die vielen Beispiele eben doch spannend. Schließlich lernt man dabei, dass diese Probleme quasi weltumfassend ganz ähnlich sind. Ich habe das Buch alles in allem genau darum gerne gelesen. Was mir persönlich etwas kurz kommt, ist der Inhalt zum Untertitel des Buches: „Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht“. Zwar fließt das immer wieder ein – Algorithmen spielen belanglose oder falsche Informationen ins Licht oder: Ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird von vielen Orten der Welt nicht mehr berichtet werden. Was mir dabei aber fehlt, ist einmal ganz klar aufgezeichnet: Wenn das und das (nicht mehr) passiert, könnte eine Folge dies und jenes sein. Oder anders gesagt: Ich habe die Antwort auf die Frage im Untertitel nicht gefunden.

Screenshot Meedia

Interessant übrigens in Zusammenhang mit der Corona-Krise: Die Zuschauerzahlen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sind so gut wie selten. Vielleicht kann eine solche Krise, so schlimm und unnötig sie auch ist, den Bürgern zeigen, dass Netflix & Co in diesen Zeiten zwar sicherlich unterhaltsam sind, aber genau die (überlebens-)wichtigen Informationen, die man jetzt braucht, nicht im Angebot haben. 

Gelesen: Mehr Wahrheit wagen
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