Honorarabrechnung
Honorarabrechnung

So schnell sieht die Welt anders aus, ganz anders sogar: Gestern Mittag hatte ich noch kurzzeitig ein schlechtes Gewissen, weil ich einem Kunden nicht aus der Not geholfen habe. Ich hätte dafür am Wochenende arbeiten müssen. Heute bin ich ausgesprochen froh, den Auftrag nicht angenommen zu haben. Das Umdenken hängt mit einem Brief zusammen. Dem entnehme ich nämlich endlich, welches Honorar ich für den Artikel bekomme, den ich im Juli für diesen Kunden geschrieben habe. Es war für mich ein neues Thema, der Kunde – eine Tageszeitung – wollte zwei Expertenstimmen, 5.000 Zeichen sollte ich schreiben.

Ich hatte mich darauf eingelassen, weil ich Zeit hatte, den Hinweis, man zahle noch so viel wie früher, habe ich so hingenommen. Das war ausgesprochen dumm von mir. Denn nun habe ich schwarz auf weiß die Abrechnung bekommen, was meine Arbeit der Tageszeitung wert ist: 129 Zeilen bringen 108,36 Euro. Das macht ein Zeilenhonorar von 84 Cent. Ich denke darüber nach, wann „früher“ war: 2004 bis 2008 habe ich ab und zu für diese Tageszeitung geschrieben – selten neue Artikel, im Regelfall habe ich Texte dort zweitverwertet. 84 Cent pro Zeile fände ich für eine Zweitverwertung auch heute noch ok, aber nicht für einen nagelneuen Artikel, für den ich mit Interviews rund zwei Stunden gebraucht habe. Denn das macht einen Stundensatz von 54 Euro – vor Steuern. Ziehe ich rund 30 Prozent fürs Finanzamt ab, bleiben 36 Euro übrig. Davon gehen aber noch Kosten beispielsweise fürs Büro und Versicherung ab.

Für ein Zeilenhonorar von 84 Cent nicht alles möglich machen

Ich habe, um das Rechenbeispiel weiterzuführen, meine Betriebsausgaben von 2012 durch die Zahl der Aufträge geteilt. Wenn man das so vereinfacht sagen kann, muss jeder Auftrag 62,27 Euro an Kosten aufs Jahr decken, damit Journalismus für mich mehr als nur ein Hobby bleibt. Oder anders gesagt: Bei etwa 283 Arbeitstagen liegen die Kosten pro Tag bei rund 54 Euro. Wenn ich nun von 108,36 Euro 30 Prozent Steuern abziehe, bleiben 72,24 Euro übrig. Ziehe ich die Kosten pro Auftrag davon ab, habe ich also einen Gewinn von 9,97 Euro gemacht. Immerhin ein Gewinn. Aber das ist gleichzeitig der Beweis, dass meine Annahme von gestern richtig war: Das Honorar ist deutlich zu niedrig, um am Wochenende dafür den Computer anzuschalten und zu arbeiten.

Welches Zeilenhonorar ist angemessen?

Bei alledem habe ich das Urteil des Landgerichts Köln aus dem Juli im Kopf, nachdem 56 Cent pro Zeile eine angemessene Vergütung für freie Journalisten seien. Nun ja, sie sind deutlich besser als die 25 Cent pro Zeile, die der klagende Kollege vorher bekam. Und ich sollte mich über meine 84 Cent pro Zeile möglicherweise richtig freuen. Leben könnte ich von diesem Honorar allerdings nicht, und von 56 Cent pro Zeile noch viel weniger. Darum bin ich wieder einmal sehr froh, dass die Mehrheit meiner Kunden deutlich besser zahlt. Vor diesem Hintergrund bin ich gleich noch viel gespannter auf das Seminar in Berlin am Dienstag und Mittwoch: Wer bezahlt den Journalismus von morgen? Und: Sollte diese Tageszeitung es nochmals wagen, mich zu fragen, ob ich am Wochenende für sie arbeiten könnte, dann wird meine Antwort in Zukunft ganz ohne schlechtes Gewissen sein: Nein, kann ich nicht!

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Zeilenhonorar: Schlechtes Gewissen war gestern
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8 Kommentare zu „Zeilenhonorar: Schlechtes Gewissen war gestern

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