Da steht dieser Mann auf der Bühne und weiß gar nicht, wie viel ich ihm eigentlich verdanke. Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, war bei Digital X, einer Konferenz, die über sich selbst sagt, sie sei Europas führende Digitalisierungsinitiative auf Entscheider-Level. Und ich sitze im Publikum, höre ihm zu, und werde mir bewusst, dass ich heute sehr wahrscheinlich nicht die wäre, die ich bin, wenn er nicht 1989 den Grundstein zum World Wide Web gelegt hätte. Ich würde möglicherweise keine Texte fürs Internet schreiben, ich würde keine Texte über das Internet schreiben, ich würde nicht bloggen und keine Seminare geben rund um Social Media, SEO und Online publizieren. Kurz überlege ich, ob Berners-Lee nicht eigentlich von jedem, der heute im und mit dem Internet sein Geld verdient, jeden Monat einen Euro überwiesen bekommen müsste, quasi als eine Lizenz-Gebühr – und wie unermesslich reich er dann wäre.
Was Berners-Lee am Internet nicht gefällt
Aber dann höre ich auf, meinen Gedanken nachzuhängen und konzentriere mich auf das, was Tim Berners-Lee so erzählt: „Nach 30 Jahren sind 50 Prozent der Weltbevölkerung online. Wer offline ist, gehört also jetzt offiziell zu einer Minderheit“, sagt er. Und ich wundere mich, dass nach so langer Zeit nur die Hälfte der Weltbevölkerung online ist. Gut – bei den vielen Funklöchern rund um den Globus und dem fehlenden Strom in nach wie vor vielen Regionen ist das dann vielleicht doch nicht so verwunderlich. Aber traurig bleibt es, denn das Internet ist der Zugang zu Wissen. Und Wissen ist die Grundlage für Wohlstand.
Es geht um mehr Demokratie im Netz auf der Digital X
Berners-Lee ist übrigens nicht ganz glücklich mit dem, was aus seiner Erfindung wurde: „Geschlossene Plattformen wie Facebook, Flickr oder LinkedIn sind ein Problem“, sagt er. „Man kann dort nur Inhalte mit denen teilen, die auch Mitglied sind. Das entspricht nicht der ursprünglichen Logik des Internet. Diese Plattformen sind Silos.“ Außerdem gebe man mit mobilen Geräten und Selbstoptimierungs-Apps ständig seine Daten weiter. Tatsächlich profitierten die Unternehmen, die sie bekommen, wahrscheinlich mehr von den Daten als wir selbst. „Trotzdem sind unsere Werte für diese Firmen weniger wertvoll als für uns. A propos Daten: Dokumente und Fotos, die in Clouds liegen, sind über die ganze Welt verstreut. Wir wissen manchmal nicht, wo genau sie sind. Das ist nicht gut.“
Fazit: „Das Internet ist nicht das demokratische und wissenschaftliche Netz, als das es angedacht war“, sagt Berners-Lee. Er ruft dazu auf, den Menschen ihre Daten zurückzugeben. Und ein neues Internet zu schaffen, ein anderes und besseres. Der WWW-Erfinder findet Wikipedia gut, weil viele Leute dort demokratisch zusammenarbeiten und die Qualität hoch sei. Das sei sonst im Internet eher nicht der Fall. Er wünscht sich mehr Tools, die helfen einen Diskurs zu führen, um eine funktionierende Demokratie zu schaffen.
(Wohlstands-)Probleme des Internet
Ich denke mir: In den sozialen Medien kann ja jeder seine Meinung sagen, sie könnten ein Ort der Demokratie sein. Doch tatsächlich sind sie voll mit Fake News, Hate Speech und zunehmend auch Deep Fakes. Hier kommt Tim Höttges ins Spiel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, der in der Eröffnungskeynote dazu aufgerufen hat, gegen genau diese demokratiezerstörenden Phänomene vorzugehen. Ich gebe offen zu, dass ich nicht alles gut fand, was Höttges sagte – aber in diesem Punkt bin ich ganz seiner Meinung.
Was mir an seinem Vortrag nicht gefallen hat? Nun ja, sagen wir es so: Er hat sich auf dünnes Eis gewagt: Unzufriedene Kunden mögen sich bei ihm nach dem Vortrag melden, sagte er. Das tue ich hiermit: Warum habe ich mitten in Köln im Jahr 2019 eigentlich kein richtig schnelles Internet? Seit Jahren wird uns von der Hotline immer und immer wieder versprochen, das werde sich ändern – und es passiert nichts. Was ist nun meine Konsequenz? Wir haben seit einigen Monaten zusätzlich zum Internetanschluss der Telekom den Internetzugang von Unitymedia, die jetzt zu Vodafone gehören. Und wir werden demnächst nach Jahrzehnten als Telekomkunden unseren Festnetzanschluss samt Internet kündigen. Weil Unitymedia in diesem Punkt einfach besser ist.
Außerdem finde ich es nahezu absurd, dass es auf der Digital X kein offenes W-LAN gibt, und mein LTE über die Telekom in die Knie ging. Da ist es mir einfach egal, dass das Unternehmen Magenta demnächst W-LAN in Flugzeugen verfügbar macht und erfolgreich beim Bau eines chinesischen Flughafens mitgearbeitet hat.
Und noch ein Punkt, an dem ich nicht Tim Höttges Meinung bin: Er fordert eine Wettbewerbsrechtsreform: Nicht für jede Marktdefinition sei es sinnvoll, vier Wettbewerber zu haben. Die Rede ist hier vom Ausbau des 5G-Netzes. Naja, denke ich mir. In anderen europäischen Ländern sind Handy-Tarife so viel günstiger als in Deutschland, und zwar gerade wegen der größeren Konkurrenz. Da wünsche ich mir doch glatt mehr als vier Wettbewerber. Beim Mobilfunk und gerne auch bei anderen Märkten.
Was mir gefällt: Höttges sagt, bei der Telekom werden Bestandskunden mindestens genauso gut behandelt werden wie Neukunden. Endlich, denke ich mir, und denke an meinen Artikel zum Wechsel des Mobilfunktarifs zurück. Und: Die Telekom will grüner werden: Weniger Plastik in Zukunft, dafür einen grünen Tarif. Klingt gut.
Was ich auf der Digital X noch gehört habe
Volker Busch. Kopf oder Bauch – Mensch und Entscheidungsfindung zwischen Bits und Bytes:
- Wir fällen mehr als 100.000 Entscheidungen pro Tag
- Der Mensch kann mit einem Zuviel an Informationen nicht umgehen. Darum vergisst er, verzerrt, vereinfacht. Maschinen können besser mit Informationen umgehen: Sie erkennen Muster.
- Denken bedeutet jedoch mehr, als „Muster erkennen“. Denken ist: Infragestellen, zwischen den Zeilen lesen. Auch Erfahrung und Bauchgefühl. Intuition, aber nicht Esoterik. Sondern der Erfahrungsschatz, der hilft, richtige Entscheidungen zu fällen.
- Doch je mehr wir Displays und Monitoren glauben, desto weniger Expertise bauen wir auf. Beispiel: Die Inuit haben durch GPS den Orientierungssinn verloren. Sie können den Himmel nicht mehr interpretieren.
- Expertise ist aber wichtig: Was, wenn der Strom ausfällt? Die App nicht weiterentwickelt wird? Manchmal reicht der gesunde Menschenverstand aus. Darum sollten wir seltener Apps nutzen, und häufiger unser Gehirn.
- Sein Appel: „Lassen Sie uns Wissensgesellschaft sein, nicht nur Informationsgesellschaft. Kopf und Bauch sind zusammen unschlagbar.“
Dürfen Algorithmen über Leben und Tod entscheiden?
Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag: „Der Algorithmus entscheidet nichts. Er spult einfach ein Programm ab, das programmiert wurde. Also: Ein Auto entscheidet nicht, ob es in die linke oder rechte Gruppe fährt. Sondern die Menschen in Hintergrund, die die Algorithmen programmieren.“
Biohax: Digitalisierung, die unter die Haut geht
Jowan Österland von Biohax International ist absoluter Befürworter des Chips unter der Haut: „Geld, Reisepass, Schlüssel – das alles kann man nicht mehr verlieren oder vergessen, wenn man einen Chip eingepflanzt hat.“ Und: Bei allen Geräten, zum Beispiel einem Ring mit Chip, könnten die Batterien leer gehen, Akkus müssen geladen werden, Geräte kann man verlieren, Displays zerkratzen. Ich will trotzdem keinen Chip eingepflanzt bekommen. Noch nicht.
Mein Fazit der Digital X
Ich war auf der Republica und dem Global Media Forum. Ich könnte nicht sagen, dass die Digital X bahnbrechend neue Informationen für mich hatte. Es war trotzdem eine gute Konferenz – ich konnte mir selbst bestätigen, dass ich eine Menge weiß. Allerdings war ich nur am ersten Tag da, vielleicht habe ich am zweiten Tag etwas Bahnbrechendes verpasst.